Bündnisgrüner Appell gegen die Einleitung eines neuen NPD-Verbotsverfahrens (17.3.2013)

Seit anderthalb Jahren wird erneut intensiv darüber diskutiert, ob Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung einen Antrag auf Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) beim Bundesverfassungsgericht stellen sollten. Der Bundesrat hat sich im Dezember 2012 dafür entschieden. Die Länder Hessen und Saarland haben zum Zeitpunkt des Beschlusses ihre berechtigten Zweifel allein im Interesse einer einheitlichen Haltung des Bundesrats zurückgestellt.

Die Bundesregierung ist in dieser Frage gespalten, ein eigenständiger Verbotsantrag von dieser Seite wird immer unwahrscheinlicher: Während die Justizministerin vor einem Verbotsantrag warnt, eiert der zuständige Innenminister herum. Kanzlerin Merkel tut so, als ob sie das Thema nichts anginge. Egal wie die Entscheidung Ende März ausfällt: Diese widersprüchlichen Signale haben jetzt schon die innere Überzeugungskraft jeder Entscheidung entwertet.

Der Bundestag ist ebenfalls aufgerufen, eine eigene Entscheidung zu treffen. Wir GRÜNE haben unsere Entscheidung unter anderem in Beschlüssen der Partei und einer Anhörung der Bundestagsfraktion vorbereitet. So hat die BDK in Kiel vom November 2011 entschieden:

„Es ist nicht länger hinnehmbar, dass sich rechtes Gedankengut hinter dem Parteienprivileg versteckt und die verfassungsfeindliche NPD mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Deshalb und wegen der zunehmenden Gewaltbereitschaft und des offenen, unverhohlen hetzerischen Auftretens der NPD setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür ein, dass ein Verbotsverfahren eingeleitet wird, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.

Wir fordern die Bundesregierung auf zu prüfen, ob sich aus den Ermittlungsergebnissen Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben. Die Exekutive soll Beweise für ein Verfahren sammeln, Verfahrenshindernisse beseitigen und die Aussicht eines solchen Verfahrens prüfen. Die Anforderungen des  Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind dabei zu berücksichtigen sind.

Denn für uns klar: Ein neues NPD-Verbotsverfahrens muss erfolgreich sein.“

Zumindest hier dürften sich alle Beteiligten einig sein: „Ein neues Verbotsverfahren muss erfolgreich sein“. Ein zweiter Misserfolg würde großen politischen Schaden verursachen, ein verheerendes Signal in die Gesellschaft senden und der NPD attestieren, sie sei verfassungsgerichtlich überprüft und für demokratietauglich befunden worden. Daher sind die rechtlichen Voraussetzungen eines Verbotes kühlen Kopfes sorgfältig zu prüfen.

Nach allem was wir zum Ende dieser Prüfung wissen, liegen die rechtlichen Voraussetzungen für ein erfolgversprechendes Verbotsverfahren nicht vor. Daher bitten wir die  Bundestagsfraktion, einen Antrag auf Verbot der NPD weder zu stellen noch zu unterstützen. Fundierte Gründe für diese Zurückhaltung gibt es viele:

Außerhalb der Verfassungsschutzbehörden, denen an Quellenschutz stärker gelegen ist, als an rechtsstaatlicher Arbeit, kann nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, ob die Materialsammlung der Innenminister tatsächlich „quellenfrei“ ist, also keine Informationen von V-Personen der Ämter für „Verfassungsschutz“ enthält. Daher bleiben begründete Zweifel, ob tatsächlich alle Verfahrenshindernisse beseitigt worden sind.

Auch die Materialsammlung vermag nicht zu überzeugen. Sie belegt die Verbalradikalität und Menschen- und Demokratieverachtung der NPD, nicht aber ihr unbedingtes und aggressivkämpferisches Handeln.

Die BDK hat ihre Entscheidung unter dem Eindruck getroffen, dass das Terrornetzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Kenntnis und mit Billigung oder sogar im Auftrag der NPD bzw. einzelner Funktionäre gemordet haben könnte. Hätte sich dieser Verdacht bestätigt, wäre die NPD ohne Zweifel zu verbieten gewesen. Die Materialsammlung belegt aber, dass faktisch keine belastbaren Verbindungen zwischen der NPD als Organisation und dem NSU erkennbar sind. Die Rolle des als Unterstützer angeklagten ehemaligen NPD-Mitglieds Ralf Wohlleben bleibt in
einem rechtsstaatlichen Prozess zu klären. Jedoch sieht nicht einmal der Generalbundesanwalt belastbare Verbindungen zwischen NPD und NSU. Die Materialsammlung der Innenminister zählt zwar einige Gewalttaten von NPD-Mitgliedern auf, schlussfolgert aber selbst nicht, dass die NPD als Organisation Gewalt ausübt oder dazu aufruft.

Die Anhörung der Bundestagsfraktion am 22. Februar 2013 hat ergeben, dass das Bundesverfassungsgericht wohl die Rechtsprechung der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts zum Parteienverbot weiterentwickeln wird. Auch ist nunmehr das Verhältnismäßigkeitsprinzip an ein Verbot anzulegen. Dagegen bestreitet die Materialsammlung ausdrücklich die Geltung des
Verhältnismäßigkeitsprinzips.

Wir gehen – wie die gehörten Sachverständigen – davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreifen und den Nachweis einer konkreten dringenden Gefahr für die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung verlangen wird. Die Befürworterinnen und Befürworter eines Antrags müssten also darlegen, inwiefern die NPD unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips den Bestand der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Dies ist nach unserer Ansicht nicht möglich. Die NPD ist eine neonazistische Splitterpartei, nah am politischen, wie finanziellen Konkurs.

Schließlich hat der EGMR eine Regelung als rechtswidrig verworfen, die wie in Deutschland ohne weitere Prüfung, den Abgeordneten der NPD in den Landtagen und Kommunalparlamenten ihre durch Wahlen erworbenen Mandate automatisch mit einem Verbot der Partei aberkennt.

Es geht beim NPD-Verbot nicht um eine „antifaschistische Mutprobe“, das hilflose „Setzen von Zeichen“ oder moralische Erwägungen, sondern um die Kenntnisnahme und Beachtung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines Parteienverbots. Wir unterstützen jedes Engagement, um der menschenverachtenden Ideologie der NPD entschieden entgegenzutreten und diese argumentativ zu entkräften. Es besteht Konsens darüber, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die anstehende Entscheidung über die Einleitung eines Verbotsverfahrens ist keine politische Willensbekundung. Sie muss Ergebnis einer juristischen Prüfung sein, ob die Voraussetzungen für ein Verbot erfüllt sind.  Alle vorliegenden Erkenntnisse mahnen, von einem
Verbotsantrag mangels Erfolgsaussichten abzusehen.

Claudia Dalbert, Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt

Antje Hermenau, Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag

Anja Siegesmund, Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Thüringer Landtag

Dirk Adams, Innenpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Thüringer Landtag

Rasmus Andresen, stv. Vorsitzender der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Landtag Schleswig-Holstein und Mitglied des Bundesparteirats

Dirk Behrendt, Rechtspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Berliner Abgeordnetenhaus

Eva Jähnigen, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag

Miro Jennerjahn, Demokratiepolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag

Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag

Johannes Lichdi, Rechtspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag

Ursula Nonnenmacher, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag

Sebastian Striegel, Innenpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt