Bundeswehr und Rechtsextremismus

Seit Wochen wird nun über die Anschlagspläne eines oder mehrerer rechtsextrem gesinnter Soldaten der Bundeswehr diskutiert. Seit dem Bekanntwerden dieser Pläne und den Vorwürfen von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, in der Bundeswehr gebe es ein breites Führungsversagen, vergeht praktisch kein Tag ohne neue Meldungen.

Ich bin zunehmend erstaunt über die Wendungen, die diese Debatte nimmt, weil zunehmend nicht mehr das eigentliche Problem (Bundeswehrsoldaten, die offenbar eine terroristische Zelle gegründet haben) diskutiert wird, sondern die Kritik der Verteidigungsministerin an der Bundeswehr.

Kritik = Nestbeschmutzung

Mittlerweile ist sich selbst SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nicht mehr zu blöd, dieser notwendigen Debatte über die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der Bundeswehr mit einem Totschlagargument zu begegnen: Die Verteidigungsministerin habe das Ansehen der Bundeswehr beschädigt.

Ein „Argument“, das vielen Menschen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich vertraut ist. Auch hier ist der gängige Mechanismus, wer das Problem in einer Gemeinde beim Namen nennt, sieht sich schnell als Nestbeschmutzer diffamiert. Ein Reflex, der überhaupt erst dazu geführt hat, dass sich vielerorts eine bestens strukturierte rechtsextreme Szene etablieren konnte.

Dabei hätte es Martin Schulz denkbar leicht gehabt, einen unmittelbaren Bericht zu bekommen, wie dieser Mechanismus funktioniert. Einfach mal bei seinem Parteifreund Martin Dulig, dem sächsischen Wirtschaftsminister und Landesvorsitzenden der sächsischen SPD, nachfragen. Der hatte im Herbst 2016 der sächsischen Polizei vorgehalten, es gebe dort eine zu große Nähe zu PEGIDA und wurde dafür von seinem Koalitionspartner, der CDU, des Sachsen-Bashings bezichtigt.

Wenig Wissen über Rechtsextremismus in der Bundeswehr

Dabei gibt es erstaunlich wenig ernsthaft belastbares Material, insbesondere auch wissenschaftliche Studien, darüber, wie weit (oder eben nicht weit) rechtsextreme Einstellungen in der Bundeswehr verbreitet sind. Und da sind wir noch nicht mal bei der Frage, welche rechtsextremen Strukturen und/oder Organisationen sich innerhalb der Bundeswehr ausgebildet habe, oder dort auf die eine oder andere Art wirken.

Der online-Katalog des Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr wirft zu den Suchbegriffen „Rechtsextremismus“ und „Bundeswehr“ jedenfall lediglich 27 Treffer aus, vieles davon sind lediglich kurze Zeitungsinterviews oder kurze Artikel, oft weit über 20 Jahre alt. Der Katalog der deutschen Nationalbibliothek kommt bei den gleichen Suchbegriffen auf 13 Treffer, auch hier kaum Aktuelles.

Das heißt in Sachen öffentlich zugänglicher Studien zum Thema ist es außerordentlich schlecht bestellt. Ich habe zu dem Thema zwei Thesen. Wohlgemerkt: Thesen, das heißt Behauptungssätze, die dann entweder durch Untersuchungen verifiziert oder falsifiziert werden müssten.

  1. In der Bundeswehr sind rechtsextreme Einstellungen weiter verbreitet als im Bevölkerungsdurchschnitt
    Auf klarer Autorität und Hierarchie gegründete Uniformberufe dürften für Menschen mit rechtsextremen Einstellungen generell attraktiver sein als für andere Menschen. Der vermeintliche Widerspruch, einem Staat zu dienen, den man eigentlich ablehnt, existiert nur bedingt. Zum einen ist es leicht möglich, in der Bundeswehr zu „überwintern“, nach dem Motto, „wenn das System erst überwunden ist“. Zum anderen lassen sich hier aus Sicht entsprechender Menschen wichtige Fähigkeiten erlernen, die im Kampf gegen das verhasste System hilfreich sind.
  2. Dieser Trend hat sich seit der Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee verstärkt
    Während zu Zeiten der Wehrpflicht jeder junge Mann vor der Entscheidung stand, Wehrpflicht oder Zivildienst und dies für viele eine Wahl zwischen zwei Übeln war, ist der Weg zur Armee nun eine bewusstere Entscheidung. (Man kann natürlich die Frage stellen, inwieweit die Bundeswehr insbesondere für junge Menschen attraktiv ist, die für sich sonst wenig berufliche Perspektiven sehen, aber die Frage, wer bewirbt sich bei der Bundeswehr und wer wird tatsächlich genommen, ist noch einmal eine komplett eigenständige). Das heißt, die deutlich größere Menge an jungen Menschen, die zu Zeiten der Wehrpflicht für den Dienst an der Waffe zur Auswahl stand, hat demnach auch dafür gesorgt, dass das Spektrum an politischen Einstellungen heterogener war, als in der jetzt gegebenen Berufsarmee (was ich nicht als Argument zur Wiedereinführung der Wehrpflicht missverstanden wissen möchte).

Die erste These wäre ohne weiteres leicht überprüfbar, indem Studien mit verschiedenen quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen angefertigt werden, die sich an der Methodik der einschlägigen Forschung zu diesem Thema orientieren. Dass so etwas möglich ist, wurde vor 15 Jahren am Beispiel der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in Gewerkschaften demonstriert.

Die Überprüfung der zweiten These ist da schon schwieriger. Da es wie gesagt wenig belastbare Studien zur Thematik gibt, dürfte es schwer werden, entsprechende Vergleichsstudien anzufertigen.

„Alles nicht so schlimm“-Rhetorik ist falsch

Eines ist in der gegenwärtigen Auseinandersetzung jedenfalls definitiv falsch: Der Verweis darauf, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen gäbe es Rechtsextremismus und deshalb dürfe das Thema nicht so hoch gehangen werden. Institutionen, die unmittelbar die bundesrepublikanische Demokratie repräsentieren, und wie im Falle von Armee und Polizei bewaffnet sind, müssen höheren Standards genügen, als andere Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wenn ein paar Angestellte bspw. der Deutschen Post beschließen, eine rechtsextreme Terrorzelle zu gründen, können sie auf Grundlage des Arbeitsmaterials mit Briefmarken und Stempelkissen um sich werfen, Angehörige von Polizei und Armee haben Zugriff auf ein breites Waffenarsenal (mitsamt der Ausbildung, wie man damit umgeht). Die „alles nicht so schlimm“-Rhetorik eines Theo Sommer diesbezüglich geht daher völlig fehl.

Es braucht dringend mehr belastbare Forschung mit verschiedenen Forschungsansätzen, um zumindest eine Idee zu bekommen, über welche Dimension des Problems wir im Zusammenhang mit der Bundeswehr eigentlich reden.

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