Der nachfolgende Artikel von mir ist erschienen in weiterdenken – Heinrich Böll Stiftung Sachsen/Kulturbüro Sachsen e.V. (Hrsg.) (2010): Gibt es Extremismus? Extremismusansatz und Extremismusbegriff in der Auseinandersetzung mit Neonazismus und (anti)demokratischen Einstellungen, Dresden. Die Publikation steht hier als pdf zur Verfügung.
Der „Fächer des Bösen“ – Anmerkungen aus politischer Perspektive
Ich werde im Folgenden die Problematik des Extremismus-Begriffs aus politischer Perspektive darlegen. Insbesondere in Sachsen hat die Diskussion einen besonderen Stellenwert, weil die führenden Apologeten der Extremismus-Theorie an sächsischen Universitäten lehren und immer wieder von der CDU als Berater herangezogen werden. Für mich gibt es dabei drei zentrale Aspekte:
- Der Begriff hat eine geschichtspolitische Dimension und unterschätzt die Verbreitung menschenfeindlicher Einstellungen;
- Der Begriff impliziert ein problematisches Staats- und Demokratieverständnis;
- Der Begriff hat Auswirkungen auf tagesaktuelle Debatten.
Geschichtspolitische Dimension
Auch wenn der Begriff des politischen Extremismus neueren Datums ist, hat er doch eine weiter reichende politische Tradition, die sich auf die Frage stützt, woran die Weimarer Republik gescheitert sei. In der Bundesrepublik gibt es die Lesart – und die ist durchaus weit verbreitet – die Weimarer Republik sei an den Verfassungsfeinden von links und rechts zu Grunde gegangen. Das ist eine sehr bequeme Sichtweise. Sie geht nämlich – wie die Extremismus-Theorie heute – davon aus, eigentlich habe es eine demokratische Gesellschaft gegeben, die von links und rechts bekämpft worden sei und der schließlich ungewollt der Nationalsozialismus aufgezwungen wurde. Die Frage, inwieweit denn die Demokratie der Weimarer Republik als Staats- und Gesellschaftsform tatsächlich verankert war, spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle.
Schlimmer noch: Der Aspekt, dass es weit reichende ideologische Schnittmengen von verschiedenen Bevölkerungsteilen und insbesondere dem konservativen und deutschnationalen Spektrum mit dem Nationalsozialismus gab, wird ausgeblendet. Vor dem Hintergrund, dass die NSDAP im Juli 1932 über 37% der Stimmen erhielt und bei den letzten freien Wahlen im November 1932 mehr als 33%, kann man einfach nicht so tun, als habe es die Schnittmengen nicht gegeben. Aus der Wahlforschung heute wissen wir, dass die Wahl einer rechtsextremen Partei nicht trotz deren rassistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Positionen erfolgt, sondern oftmals ideologische Übereinstimmungen mit diesen Positionen zu finden sind. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies damals anders gewesen wäre. Der Vorteil der Lesart die Weimarer Republik sei von den Rändern von rechts und links gestürzt worden, bestand für das konservative Spektrum in der Nachkriegszeit und letztlich auch bis heute darin, dass die Frage nach eigener Verantwortung und Schuld am Nationalsozialismus nicht gestellt werden braucht.
Diese Lesart unterschätzt zugleich die Verankerung gruppenbezogener menschenfeindlicher Einstellungen in der Breite der Gesellschaft. Wenn Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie zu Erscheinungsformen eines extremistischen «Randes», mithin also zur bloßen «Randerscheinung» erklärt werden, wird die notwendige Problematisierung ihrer Verbreitung in der «Mitte der Gesellschaft» vernachlässigt. Ein formalistisch-politischer Ansatz, der gesellschaftliche Bedrohungen nur anhand der formalen Abweichung von einer gedachten Verfassungstreue der «Mitte» zu erfassen sucht, hat der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie nichts entgegenzusetzen.
Staatsverständnis
Wer einen Blick auf das hinter der Extremismus-Theorie stehende Staatsverständnis wirft, stellt schnell fest, dass es durch und durch etatistisch angelegt ist. Überspitzt formuliert: Weil dem Staat eine demokratische Verfassung zu Grunde liegt, ist in dieser Logik auch jedwedes staatliche Handeln gut. Kritik am Handeln des Staates gerät dann schnell unter den Generalverdacht extremistisch zu sein, weil die Differenzierung zwischen konkretem staatlichen Handeln, das nicht zwingend demokratisch sein muss, und der zugrunde liegenden Verfassung nicht mehr vorgenommen wird. Wir hatten in den letzten Jahren in Sachsen Fälle, dass zivilgesellschaftliche Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren und in diesem Zusammenhang im Hinblick auf staatliches Handeln im Umgang mit AsylbewerberInnen von institutionellem Rassismus sprachen, Probleme mit der vom Freistaat gewährten Förderung bekamen. In Frage gestellt wurde in diesem Zusammenhang, ob sich die Vereine auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen würden.
In der Extremismus-Theorie ist also eine Ausgrenzungsfunktion angelegt, bzw. wohnt dem pauschalen Gerede von «dem» Extremismus die Anmaßung inne, die demokratische Mitte zu definieren und jede Abweichung davon als undemokratisch zu brandmarken. Dass eine Demokratie auch von einer politischen Mehrheit bzw. Eliten bedroht sein kann, ohne dass ein grundlegender Systemsturz bevorsteht, kommt in dieser Logik nicht vor.
Letztlich behauptet die Extremismus-Theorie, dass die Mehrheitsbevölkerung in einem demokratischen Verfassungsstaat auch demokratisch gesinnt ist. Empirische Untersuchungen von Einstellungsmustern, die zu anderen Schlüssen kommen, werden ignoriert. Damit wird eine Übereinstimmung der Mehrheitsbevölkerung mit den Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates konstruiert, was oft zu dem falschen Umkehrschluss führt, dass Positionen, die nicht der «Normalität» der mehrheitlich verbreiteten Einstellungen entsprechen, auch im Widerspruch zur Demokratie stehen. Damit werden aber Werte der demokratischen Verfassung in ihr Gegenteil verkehrt.
Tagespolitische Debatten
Damit bin ich auch schon bei ganz konkreten Folgen für die reale tägliche Politik angelangt. Oft wird die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen zur Stärkung der Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als obrigkeitsstaatlicher Gnadenakt begriffen. Um ein ganz aktuelles Beispiel zu nennen: Familienministerin Köhler hat sich diese Woche im Haushaltsausschuss des
Bundestages dafür ausgesprochen, Initiativen gegen Rechtsextremismus, die vom Bund gefördert werden, durch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Mittlerweile ist sie in der Öffentlichkeit ein Stück zurück gerudert. Dennoch: Die dahinter stehende Logik ist gefährlich. Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert ist links, höchstwahrscheinlich sogar linksextrem und muss überwacht werden. Damit wird aber ein fundamentales Prinzip von Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt: Die Unschuldsvermutung.
In tagespolitischen Debatten kristallisiert sich in aller Regel ein gefährliches Schwarz-Weiß-Schema heraus: Hier die gute Mehrheitsbevölkerung, dort die gefährlichen Ränder. Phänomene wie Alltagsrassismus geraten dabei völlig aus dem Blick oder werden schlichtweg geleugnet. Mehr noch, es wird so getan als sei mit dem Begriff Extremismus alles gesagt. Dann werden in einem Atemzug Links- und Rechtsextremismus genannt, meist wird auch noch Islamismus mit eingear beitet, so als sei alles das gleiche und alle Probleme gleich groß, ohne nach den Ursachen und ideologischen Unterschieden der einzelnen «Extremismen» zu fragen, deren genaue Betrachtung aber für die Entwicklung tragfähiger Gegenstrategien enorm wichtig wäre.
Der Chef der Sächsischen Staatskanzlei Dr. Johannes Beermann hat dies jüngst wieder einmal vorexerziert, als er NPD und die Partei Die Linke im Kampf gegen Extremismus in einem Atemzug nannte und damit faktisch gleich stellte. Das verkennt die Realität. Die NPD ist eine Partei, die die Würde aller Menschen in Frage stellt und die Demokratie beseitigen will. Niemand muss die Partei Die Linke mögen, genauso wenig wie man je nach politischem Standpunkt CDU, FDP, SPD oder DIE GRÜNEN mögen muss, aber die genannte Gleichsetzung ist schlicht falsch.
Eine solche Lesart hat selbstverständlich auch Konsequenzen darauf, wie die Antworten auf das Problem «Extremismus» ausfallen. Die folgende Aussage aus dem Landtagswahlprogramm der CDU aus dem Jahr 2009 ist da idealtypisch: «Die Bedrohung Deutschlands und damit auch Sachsens durch den weltweit operierenden islamistischen Terrorismus ist ernst zu nehmen. Deswegen sind die eingeleiteten Maßnahmen, wie die Einrichtung eines Mobilen Einsatzkommandos ‚Staatsschutz‘, fortzuführen. Wir sagen dem Rechts- wie dem Linksextremismus den Kampf an.»
Ich persönlich finde schon allein die Reihenfolge der Nennungen bizarr. Natürlich ist es wichtig auch über das Thema internationaler Terrorismus zu diskutieren und dessen Konsequenzen für Sachsen. Bislang war Islamismus in Sachsen jedoch kein sehr großes Problem, Rechtsextremismus hingegen ist in manchen Regionen durchaus zu einer beinah alltäglichen Bedrohung geworden.
Ich hatte zum Punkt Staatsverständnis darauf verwiesen, dass ich den Extremismus-Begriff für autoritär-obrigkeitsstaatlich aufgeladen halte. Und genauso fallen in der Regel die Antworten aus. Das Zitat aus dem Landtagswahlprogramm hat auch das schon angedeutet. Meist wird mit einem autoritären Reflex geantwortet. Auch das können wir derzeit in Sachsen beobachten. Als Antwort auf den jährlichen Nazi-Aufmarsch in Dresden wird mit einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit geantwortet, die im konkreten Fall nicht nur höchstwahrscheinlich verfassungswidrig ist, sondern auch keinen einzigen Nazi-Aufmarsch verhindern wird. Zugunsten reiner Symbolpolitik werden zentrale Freiheitsrechte, die selbstverständlich und so schwer das in der konkreten Situation zu ertragen ist, auch den Feinden der Demokratie zustehen, beschnitten. Schlimmer noch: Derzeit wird systematisch versucht, Gegenaktivitäten wie eine angestrebte Blockade der Nazi-Demo zu kriminalisieren.
Antworten
Ich habe mich bemüht zu zeigen, dass der Extremismus-Begriff und dessen Konsequenzen höchst problematisch sind. Aber was resultiert daraus?
Zuallererst wäre eine Abkehr von der fatalen Logik, das Gegenteil von Rechtsextremismus sei Linksextremismus, notwendig. Rechtsextremes Denken besteht im Kern aus einer Ideologie menschlicher Ungleichwertigkeit, die biologisch begründet wird. Daraus abgeleitet werden die allgemeinen Menschenrechte in Frage gestellt. Der Gegenpart rechtsextremer Ideologie besteht somit in einer Betonung und Stärkung von Menschenrechten und der Stärkung des Gedankens, dass alle Menschen gleich an Rechten sind. Das sind Werte die sowohl konstitutiv für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind, als auch für die Verfassung des Freistaats Sachsen. Das Gegenteil von Rechtsextremismus lautet somit nicht Linksextremismus, sondern Demokratie. Wir wären ein großes Stück weiter, wenn Debatten künftig unter dieser Prämisse geführt würden.
Daraus resultiert auch, die Debatte insgesamt in eine andere Richtung zu lenken. Genauso wie die Weimarer Republik vor allem an der mangelnden Verankerung der Demokratie in der Bevölkerung gescheitert ist, beruht die gegenwärtige Stärke vor allem der extremen Rechten in Sachsen auf einer Schwäche der Demokratie.
Eine ernsthafte Debatte, darf also nicht dabei stehen bleiben, politische Ränder zu markieren, sondern sie muss die Frage nach der gesellschaftlichen Verankerung der Demokratie und deren zentraler Werte stellen und sie muss tatsächliche oder vermeintliche Demokratiedefizite thema tisieren. Das betrifft auf der einen Seite die Verbreitung menschenfeindlicher Einstellungsmuster, auf der anderen Seite aber auch die Frage, wie weit die Bürgerinnen und Bürger von Seiten des Staates ernst genommen und im politischen Prozess mitgenommen werden.
Nachtrag
Mit der Kritik des Extremismusbegriffs wird oft – nahe liegender weise – die Forderung verbunden, auch auf den Begriff des «Rechtsextremismus» zu verzichten. Gleichwohl verwenden auch ich alltagssprachlich dieses Wort, ohne im gleichen Atemzug die «Extremisten von links» nennen zu müssen. «Rechtsextremismus» fungiert dann als Sammelbegriff für
- autoritäre, antidemokratische Einstellungen
- einen völkischen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus
- weitere menschenfeindliche Einstellungen, die auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen beruhen, wie Sexismus und Homophobie
- Antiindividualismus und Ablehnung des gesellschaftlichen und politischen Pluralismus.
Nicht alle, die diesen Einstellungen ganz oder teilweise anhängen, sind Nazis. Der Begriff «Nazismus» ist als Sammelbegriff also ungeeignet. Der Begriff «Faschismus» erst recht!
Insofern spiegelt die unbefriedigende alltagssprachliche Praxis auch den Umstand, dass es auch den KritikerInnen des Extremismusbegriffs bislang noch nicht gelungen ist, einen adäquaten Ersatz zu schaffen.
Lieber Miro Jennerjahn,
hier scheint ein Tippfehler korrigiert werden zu müssen: „Der Gegenpart rechtsextremer [LINKSEXTREMER?] Ideologie besteht somit in einer Betonung und Stärkung von Menschenrechten und der Stärkung des Gedankens, dass alle Menschen gleich an Rechten sind. „
Nein, stimmt schon alles so. Aber danke der Nachfrage.