Ministerpräsident Tillich hat sich am gestrigen Sonntag zu den Ereignissen in Clausnitz und Bautzen erklärt. An und für sich ist es zu begrüßen, wenn der Ministerpräsident Stellung bezieht. Nach Medienberichten hat er starke Worte gefunden. Die Worte „erschreckend“ und „schockierend“ sind demnach genauso gefallen wie „widerlich“ und „abscheulich“.
Alles starke Worte, nur Ministerpräsident Tillich hat auch folgendes zum „Besten“ gegeben: „Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher.“
Man muss sich diesen Satz mal in all seiner Derbheit ansehen. Mindestens zwei Botschaften sind darin enthalten.
- Verbrecher sind keine Menschen. Ob Ministerpräsident Tillich das tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte, weiß ich nicht. Es ist aber die Botschaft, die er sendet. Ernsthaft, Herr Tillich? Verbrecher sind keine Menschen? Was ist die Konsequenz? Wird denen jetzt das Wahlrecht entzogen, denn das ist ja immerhin an die deutsche Staatsbürgerschaft gebunden, die wiederum Menschen inne haben.
Und wenn Verbrecher keine Menschen sind, was sind sie dann? Die Begriffe „Gelumpe“ und „Viehezug“ kommen mir in den Sinn, also die Begriffe, mit denen „besorgte Bürger_innen“ hier ankommende geflüchtete Menschen überschütten. Will der Ministerpräsident ernsthaft auf diesem Niveau mit dem Thema umgehen? - Mit dieser Aussage entledigt sich Ministerpräsident Tillich bequem eines Problems. Wenn diejenigen, die sich in Clausnitz an den rassistischen Protesten beteiligt haben oder in Bautzen jubelnd zugesehen haben, wie eine Flüchtlingsunterkunft niederbrennt, keine Menschen sind, sind sie auch nicht Teil der Gesellschaft. Herr Tillich muss sich also nicht mehr mit gesellschaftlichen Ursachen befassen bzw. besser gesagt nach dem Zustand der sächsischen Gesellschaft fragen und welchen Anteil politische Botschaften, wie sie von ihm in der Vergangenheit oder von führenden sächsischen CDU-Politikern gegenwärtig formuliert werden. „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“ ist etwa eine solche Botschaft des Ministerpräsidenten.
„Die Bevölkerung braucht ein Zeichen in der Flüchtlingskrise, dass jetzt Schluss ist. Wir haben unsere Kapazitätsgrenze doch schon fast erreicht.“ Das ist eine weitere Botschaft, ausgesprochen von Frank Kupfer, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag.
Mit einer solchen Aussage muss der Ministerpräsident auch keine Antworten mehr liefern, wie dem Problem begegnet werden könnte.
Die Aussage „das sind keine Menschen mehr. Das sind Verbrecher.“ ist unter dem Strich nicht mehr als eine Absage daran, sich ernsthaft mit dem grassierenden Alltagsrassismus in Sachsen auseinander zu setzen. Extremismustheorie reloaded sozusagen. Nur noch viel primitiver.
Und dann kommen da ja noch weitere Sätze hinzu, die Ministerpräsident Tillich in seiner Auseinandersetzung mit den Geschehnissen in Clausnitz und Bautzen geäußert hat. Solche Taten „besudelten das, was die Menschen an Mut in der friedlichen Revolution aufgebracht haben und den Fleiß beim Wiederaufbau Sachsens.“ Das gute Image Sachsens könnte beschädigt werden, das ist also seine Kernsorge.
Das erinnert fatal an die Äußerungen von Ministerpräsident Tillich, die er nach der Selbstenttarnung des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds in einem Interview mit der BILD-Zeitung von sich gab: „Zuletzt die Nachrichten über das rechtsextremistische Trio in Zwickau. Das ist nicht Ausdruck dessen, was Sachsen eigentlich bedeutet. Es schmälert die Leistung der Menschen. Das ist unfair! Wir Sachsen werden für etwas verantwortlich gemacht, wo wir das Gegenteil unter Beweis gestellt haben, z. B. mit vielen Initiativen.“
Vor zwei Tagen schrieb ich, dass der Freistaat Sachsen seiner Verpflichtung und seinem Versprechen die Würde des Menschen zu schützen derzeit nicht nachkomme. Wenn ich mir die politischen Reaktionen auf Clausnitz und Bautzen durch Ministerpräsident Tillich anschaue, habe ich wenig Hoffnung, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.