In dieser Woche wollen die Innenminister des Bundes und der Länder entscheiden, ob sie den Ministerpräsidenten sowie den antragsberechtigten Verfassungsorganen Bundesrat, Bundestag und der Bundesregierung empfehlen wollen, beim Bundesverfassungsgericht einen erneuten Antrag auf Verbot der NPD zu stellen. Nach Medienberichten ist die Entscheidung für einen neuen Verbotsantrag bereits gefallen. Im Notfall wollen die Länder auch ohne den Bund die Einleitung eines solchen Verfahrens beantragen.
Wir warnen eindringlich vor einem neuen Verbotsverfahren, da ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erwarten ist. Die Innenminister brechen ihr Versprechen, nur dann ein neues Verbotsverfahren einzuleiten, wenn der Erfolg sicher erscheint.
Die Innenminister des Bundes und der Länder haben im März 2012 beschlossen, keine Informationen mehr aus den Vorständen der NPD über die V-Leute der Ämter für „Verfassungsschutz“ zu erheben. Hieran war das erste Verbotsverfahren 2003 gescheitert, da nicht klar war, ob die der NPD vorgeworfenen Aussagen von dieser oder den V-Leuten stammten. Die „Abschaltung“ der V-Leute ist zwar eine notwendige, aber keineswegs eine hinreichende Bedingung für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren.
Die Innenminister des Bundes und der Länder haben bis Anfang September 2012 Material für einen Verbotsantrag sammeln lassen. Etwa 300 Akten-Seiten wurden wieder zurückgezogen, da die Informationen von V-Leuten stammten. Bislang weigern sich die Innenminister Art und Inhalt der Materialsammlung offenzulegen, obwohl dies spätestens im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geschehen muss. Sie verhindern damit eine öffentliche Auseinandersetzung über Qualität und rechtliche Schlüssigkeit des Materials. Die Öffentlichkeit ist daher auf das angewiesen, was über die Medien durchsickert.
Die Materialsammlung versucht auf ca. 1 000 Seiten mit Zitaten von Funktionsträgern der NPD die Verfassungswidrigkeit der Partei zu belegen. Zudem werden offenbar Verbindungen zwischen rechtsextremistisch motivierten Straftätern und Funktionsträgern der NPD aufgezeigt. Ein nichtöffentliches Rechtsgutachten des Bundesinnenministeriums vom September 2012 artikuliert offenbar rechtliche Bedenken, die aber im Ergebnis nicht für durchgreifend erklärt werden. Trotzdem seien etwa zwei Drittel der Präsidenten der Ämter für „Verfassungsschutz“ skeptisch hinsichtlich der Erfolgsaussichten.
Die Innenminister wollen offenbar wie schon im ersten Verbotsverfahren 2001 bis 2003 vortragen, dass allein die Verfassungswidrigkeit der Aussagen und Ziele der NPD ein Verbot rechtfertigen würden. Wir teilen die Einschätzung, dass die NPD die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes ablehnt und durch eine rassistische Diktatur ersetzen möchte. Als Verbotsgrund reicht dies aber nicht aus. Selbst die Ablehnung des Grundgesetzes ist eine zulässige Meinungsäußerung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 1956 in seinem KPD-Verbotsurteil den Willen zur Abschaffung des Grundgesetzes als Fernziel ausreichen lassen, doch ist dieses Urteil durch die Rechtsentwicklung überholt. Verfassungs- und Parteienrechtler warnen eindringlich, dass das
Bundesverfassungsgericht – auch im Vorgriff auf eine eventuelle Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – für ein Verbot eine konkrete Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch die NPD verlangen wird.
Es besteht offensichtlich nicht die Gefahr, dass die NPD demnächst an die Regierung gewählt oder die Macht an sich reißen könnte. Seit jeher gibt es Gewalttäter in der NPD. Eine klare Abgrenzung fehlt. Dennoch kann nicht die Rede davon, dass die NPD als „organisationsspezifische Eigenart“ Gewalt fördert und ausübt. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass das Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) so etwas wie der „bewaffnete Arm“ der NPD gewesen ist.
Unter diesen Umständen ist ein erneuter Verbotsantrag zum Scheitern verurteilt. Er wäre ein offener Erpressungsversuch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. Wir haben den Eindruck, dass ein Verbotsantrag vor allem vom Versagen der Innenminister, der Ämter für „Verfassungsschutz“ und der Polizeien bei der Entdeckung und Aufklärung der Taten des NSU sowie dem Schutz der Bürgerinnern und Bürger vor neonazistisch und rassistisch motivierten Gewalttaten ablenken soll. Ein Verbotsverfahren wäre ein wahres Geschenk für die NPD im heraufziehenden Bundestagswahlkampf. Eine mögliche Abweisung des Antrags wirkte wie ein Gütesiegel für die „demokratische“ Eigenart der NPD.
Parteienverbote sind Fremdkörper in der Demokratie. Im demokratischen Rechtsstaat können sie, wenn überhaupt, nur ultima ratio – letztes Mittel – sein. Es gilt, die demokratische Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu stärken und die NPD damit politisch noch weiter in die Isolation zu treiben.
Wir verurteilen die Verantwortungslosigkeit der Innenminister, die die Kraft zu einer offenen und ehrlichen Debatte über die mangelnden Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotsverfahrens nicht gefunden haben. Wir fordern die politisch Verantwortlichen dringend auf, von der Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens abzusehen.
4. Dezember 2012
- Dirk Adams, MdL, Innenpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Thüringer Landtag
- Rasmus Andresen, MdL, Sprecher für Strategien gegen Faschismus und Rechtsextremismus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Schleswig-Holstein
- Dirk Behrendt, MdA, rechtspolitischer Sprecher der raktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Berliner Abgeordnetenhaus
- Eva Jähnigen, MdL, Innenpolitische Sprecherin, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
- Miro Jennerjahn, MdL, Demokratiepolitischer Sprecher, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
- Monika Lazar, MdB, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- Johannes Lichdi, MdL, Rechtspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag
- Sebastian Striegel, MdL, Innenpolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt
- Deniz Anan, KV Augsburg-Stadt
- Madeleine Henfling, KV Ilmkreis
- Valentin Lippmann, KV Dresden, Sprecher LAG Demokratie Sachsen
- Torsten Mahncke, KV Mecklenburgische Seenplatte
- Thoralf Möhlis, KV Meißen
- Alexander Schestag, KV Heidelberg
- Dr. Ulrich Rose, KV Vorpommern-Greifswald