Der Talk bei Günther Jauch gestern weckt bei mir das Bedürfnis auf eines hinzuweisen: Es sind nicht alle so in Sachsen. Ich als Zugewanderter habe hier viele nette Menschen kennengelernt. Intelligente Menschen, die für Weltoffenheit und Toleranz stehen, die das leben. Warum schreibe ich das? Weil vermutlich bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern der Eindruck geblieben sein dürfte, Sachsen ist da, wo die Hinterwäldler leben. Immerhin durften gestern Kathrin Oertel, (Mitglied des PEGIDA-Organisationsteams) und Frank Richter (Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung) eine Stunde lang frei von der Leber weg reden. Zum Schluss der Sendung wurde dann auch noch bekannt gegeben, dass Mitdiskutant Alexander Gauland auch aus Sachsen stammt. Standortwerbung sieht anders aus.
Stolz verkündete Günther Jauch zu Beginn seiner Sendung, erstmals habe sich ein Mitglied des PEGIDA-Organisationsteams bereit erklärt an einer Talkshow teilzunehmen. Und was hat es gebracht? Nichts. Nichts Gutes jedenfalls.
Jedenfalls war Herr Jauch der Ansicht, man wusste ja bislang nicht, mit wem man es zu tun hat. Unausgesprochen blieb dabei der Stolz, dass seine Sendung dies nun ändern würde. Allerdings: Es gab doch diese Kollegen der schreibenden Zunft, die tatsächlich recherchiert haben. Die die kriminelle Vergangenheit von Lutz Bachmann ebenso thematisiert haben wie den offenen Rassismus im Organisationsteam von PEGIDA. Wusste Herr Jauch das nicht, oder hätte es ihm einfach nur das Gefühl genommen, etwas besonderes geleistet zu haben?
Jauch: Keine neuen Erkenntnisse über PEGIDA
Und tatsächlich gelang es Günther Jauch zu keinem Zeitpunkt auch nur eine neue Information über PEGIDA beizusteuern oder aus Kathrin Oertel herauszulocken. Dass sie sich als „ganz normale Frau aus dem Volk“ beschreibt: erwartbar. Dass der Ausgangspunkt von PEGIDA laut Frau Oertel eine Demonstration von Kurden in Dresden gewesen sei, die Waffenlieferungen an die PKK gefordert haben: bekannt. Dass PEGIDA laut Frau Oertel wachrütteln will und auf Defizite aufmerksam machen will, die die Regierung in den letzten Jahren verschlafen habe: ui, geht’s ein bißchen konkreter?
Schon die ersten Minuten, die Jauch Kathrin Oertel zur Selbstinszenierung ließ, zeigten klar, die Anwesenheit eines Mitglieds des Organisationsteams von PEGIDA wird die Debatte inhaltlich keinen Millimeter vorwärts bringen. Auffällig war nur, dass Jauch schon hier konsequent verschlief, die sich auftuenden inhaltlichen Widersprüche zu thematisieren. PEGIDA ist gegen Islamismus und den IS? Warum hat PEGIDA dann ein Problem damit, wenn sich Kurden dem entgegenstellen? Die Regierung hat relevante Probleme verschlafen? Welche denn?
Aber auch in der Folge war Frau Oertel nicht in der Lage irgendwie konkret zu werden. Außer den relevanten Stichworten der extremen Rechten, man sei von Gutmenschen bedroht, es gebe Tabu-Themen über die man nicht sprechen dürfe, das Volk werde von denen da oben nicht (mehr) gehört, kam nicht viel. In der Summe zeigten die Äußerungen von Frau Oertel lediglich, wie ressentimentgeladen und rassistisch unterfüttert ihr Weltbild ist, wie wenig Fakten sie zur Kenntnis nimmt und wie wenig rational ein auf Vorurteilen basierendes Weltbild ist. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno hätten ihre helle Freude gehabt an einem solchen Untersuchungsobjekt.
Die „unsagbaren“ Tabu-Themen, die Frau Oertel ausgemacht zu haben meint, waren dann auch lediglich Asyl, Zuwanderung und „die“ Migranten an und für sich. Noch Fragen? Das auf der Grundlage einer völlig fehlenden Wahrnehmung der Realität ein Dialog nicht möglich ist, hat die Jauch-Sendung gestern einmal mehr bestätigt. Das ist zwar eigentlich bekannt, aber nun gut, rechnen wir es der Sendung als (winzig)kleines Plus an, dass sie das nochmal gezeigt hat.
Jauch: Schwierige Besetzung der Runde
Interessant war dann auch der Rest der Runde. Neben Frau Oertel waren geladen Alexander Gauland, Landesvorsitzender der AfD Brandenburg, Wolfgang Thierse, ehemals Bundestagspräsident, Jens Spahn (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestags sowie Frank Richter, Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.
Auch hier zeigt sich wieder, was der Sendung fehlte: Wissenschaftliche Expertise, die das Demonstrationsgeschehen rund um PEGIDA auch tatsächlich hätte einordnen können. Vor allem fehlte ein/e Vertreter/in derjenigen, die sich wegen PEGIDA nicht mehr ohne weiteres auf die Straße trauen können: Flüchtlinge, Migranten bzw. schlicht alle, die aus welchem Grund auch immer Gefahr laufen von der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht als „deutsch“ angesehen zu werden. Die Einnahme der Opferperspektive wäre zwar wichtig gewesen, bleibt aber offenbar nach wie vor anderen überlassen.
Somit verlief die Sendung überwiegend in erwartbaren Bahnen. Alexander Gauland versuchte sich diverse Male als Schutzschild für Frau Oertel und PEGIDA. Gleich zu Beginn versuchte er den Umstand, dass sämtliche Demonstrationen für den heutigen Montag in Dresden aufgrund massiver Sicherheitsbedenken untersagt wurden, ernsthaft als Beleg für die schon stattfindende Islamisierung anzuführen.
Für mich überraschend klar war Jens Spahn in seinen Ansagen. Auch wenn ich nicht alles teile, was er sagte, war er doch der einzige, der immer wieder an den richtigen Stellen intervenierte. Herrn Gauland konterte er damit, dass, wenn überhaupt eine Gefahr vom militanten Islamismus ausgehe, Herr Gauland aber alle Muslime meine. Frau Oertel erinnerte er, nach ihren Einlassungen man dürfe nicht über Asyl und Zuwanderung reden, an die breite öffentliche Debatte, die es nach der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ gegeben hat. So schaffte er es zumindest mehrfach zu zeigen, dass die Behauptungen von Frau Oertel und PEGIDA mit der Realität nicht in Einklang zu bringen sind.
Wolfgang Thierse war insgesamt recht zurückhaltend, hatte aber auch seine starken Momente. Etwa als er den Vorwurf von Frau Oertel, PEGIDA werde diffamiert, damit konterte, dass man Menschen nicht diffamiert, wenn man ihnen widerspricht, wenn man Ausländerfeindlichkeit als Ausländerfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit als Demokratiefeindlichkeit bezeichnet.
Und Frank Richter? Nun ja, der war Frank Richter. Mindestens zweimal unterbreitete er Frau Oertel den Vorschlag, den „missverständlichen“ Namen PEGIDA doch zu ändern, weil das nicht alle Demonstranten widerspiegele. Ist das eigentlich noch naiv oder ist das schon gezieltes Verleugnen des rassistischen Hintergrunds von PEGIDA? Den absoluten Tiefpunkt erreichte Richter jedoch, nachdem ein Ausschnitt aus der Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingespielt wurde. Zwar hatte Richter zuvor stets betont, man dürfe PEGIDA nicht pauschal verurteilen und man müsse zuhören und differenzieren. Nach Ansicht Richters hätte sich Angela Merkel nicht zu PEGIDA äußern sollen, dass sei eine kardiologische Ferndiagnose, was im Herzen der Menschen los sei, es führe nicht weiter, den Demonstranten Kälte und Hass zu unterstellen. Schaut man sich allerdings die Rede von Frau Merkel an, liest man: „Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“ Wer „zuhören“ und „differenzieren“ fordert, sollte vielleicht mit gutem Beispiel vorangehen. Überhaupt erinnert die Aussage von Richter an die in Sachsen vielfach zu findende Einstellung, wer nicht von hier ist, soll sich bitte auch nicht äußern (wobei „nicht von hier“ bisweilen schon das Nachbardorf meint).
Jauch: Kernfragen werden nicht diskutiert
Nach einer Stunde war der Spuk vorbei und es bleibt ein ernüchterndes Fazit. Es ist nichts diskutiert worden, was nicht schon bekannt wäre, die relevanten Fragen aber bleiben außen vor. Relevant wäre gewesen, darüber zu sprechen, warum PEGIDA nur in Dresden erfolgreich ist, denn im Rest der Republik kommt die Bewegung ja nicht an. Relevant wäre gewesen, nicht nur allgemein über Rassismus zu reden, sondern die Frage zu stellen, was die Demonstrationen mit denen machen, die nicht in das völkische Weltbild von PEGIDA passen. Leider war dafür kein Platz
Einer der wenigen erheiternden Momente in der gestrigen Runde war die Diskussion über den Ruf „Wir sind das Volk“, der ja bei PEGIDA zum Selbstverständnis gehört. Wolfgang Thierse machte seinem Unmut über die Anmaßung von PEGIDA „das Volk“ zu sein Luft und verwies darauf, dass eine Mehrheit der Deutschen PEGIDA ablehne. Kathrin Oertel versuchte mit Blick auf die PEGIDA-Demonstranten zu kontern, auch „dieses Volk“ gehöre zu Deutschland. Wir lernen also: es gibt ein eigenständiges Volk, das auf PEGIDA-Demos geht.
Und so bleibt von der gestrigen Sendung von Günther Jauch letztlich auch nur das ernüchternde Fazit: Nichts Neues, aber dafür eine erhebliche Aufwertung von PEGIDA. Ein Dialog mit einer hermetisch von der gesellschaftlichen und politischen Realität abgekoppelten Weltanschauung, die sich nicht für Fakten interessiert und Widerspruch als undemokratisch brandmarkt, ist nicht möglich. Gewonnen hat gestern wohl nur PEGIDA, die von Günther Jauch eine schöne Plattform zur Selbstinszenierung geboten bekommen haben.
2 Gedanken zu „Jauch – Der gescheiterte Dialog mit PEGIDA“