Die Methode Patzelt – Anmerkungen zu Patzelts Auseinandersetzung mit PEGIDA

Prof. Werner J. Patzelt, Inhaber des Lehrstuhls für politische Systeme und Sytemvergleich an der TU-Dresden, ist lange Zeit dadurch aufgefallen, dass er sich öffentlichkeitswirksam zu den PEGIDA-Demonstrationen in Dresden äußerte und dabei vor allem durch massiv verharmlosende Äußerungen auffiel. So bestritt er beispielsweise, dass es bei PEGIDA Fremdenfeindlichkeit gebe, vielmehr handele es sich lediglich um eine „Ablehnung von Verfremdung der eigenen Heimat.“ Auch vermeinte er wahrgenommen zu haben, dass „die um Schwarz-Rot-Gold Versammelten nichts Schlimmeres [rufen] als ‚Wir sind das Volk!„. Die in Richtung Medien geäußerten „Lügenpresse“-Rufe und die in Richtung Politik geäußerten „Volksverräter“Schmähungen hatte er dabei offensichtlich überhört. Das eigentliche Problem sah Patzelt in den Gegendemonstranten, die aus seiner Sicht das politische Klima vergiftet hätten. Insgesamt fiel immer wieder auf, dass Prof. Patzelts Äußerungen keinerlei wissenschaftlich-methodisches Vorgehen zugrunde lag, sondern eine lose Sammlung von subjektiven Eindrücken. Dies ging soweit, dass sich schließlich sogar eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Politikwissenschaft der TU Dresden genötigt sahen, sich von den fortgesetzten Äußerungen Patzelts zu distanzieren.

Nachdem im Januar verschiedene Studien über PEGIDA erschienen, z. B. von Prof. Vorländer und Prof. Rucht, schwenkte er um und legte eine eigene Studie vor. Nunmehr legt Prof. Patzelt eine zweite, mit Anhängen 110 Seiten starke, Studie über PEGIDA vor, mit dem Titel „Drei Monate nach dem Knall: Was wurde aus PEGIDA?„. Und die hat es in sich. Michael Bittner hat – wie so oft – treffsicher eine Reihe von Kritikpunkten ausgemacht, insbesondere den, dass die Interpretationen der erhobenen Daten durch Patzelt durchaus problembehaftet sind. Neben den – zutreffenden – Kritikpunkten von Michael Bittner lohnt dennoch ein tiefergehender Blick auf die Studie, die zahlreiche Mängel aufweist.

Formale Unzulänglichkeiten

Die Mängelliste beginnt damit, dass der Text von Patzelt durch die Aufmachung vermitteln soll, es handele sich dabei um eine wissenschaftliche Studie. Wissenschaftliche Standards hält Patzelt gleichwohl nicht ein. So verzichtet der beispielsweise an vielen Stellen auf vernünftige Quellenangaben, etwa wenn er auf die Studien von Prof. Vorländer und Prof. Rucht Bezug nimmt. Auch bezieht er sich mehrfach auf die Ergebnisse der „Mitte-Studien“ von Elmar Brähler und Oliver Decker, ohne diese jedoch direkt zu zitieren. Stattdessen beruft er sich auf die Ergebnisse der Mitte-Studien so wie sie von Prof. Rucht präsentiert werden. Zwar hat Prof. Rucht diesbezüglich sauber gearbeitet, es stellt sich aber schon die Frage, warum Prof. Patzelt nicht die (geringe) Mühe auf sich genommen hat, die Ergebnisse in den Mitte-Studien noch einmal selbst nachzuschlagen und wiederzugeben. Eigentlich könnte ich noch weiter gehen. Mir stellt sich schon die Frage, warum Prof. Patzelt so zentrale Studien zur Einstellungsforschung, wie es die Mitte-Studien nun einmal sind, offenbar nicht kennt.

Die „linken“ Themen des Prof. Patzelt

Prof Patzelt gesteht zu, dass in seiner Studie einige inhaltliche Lücken in Kauf genommen werden mussten. „Sie betreffen genau die ‚linken‘ Themen von PEGIDA: die Kapitalismus- und Globalisierungskritik; die ‚Gesellschaftskritik aus der Warte des kleinen Mannes‘, den Anti-Amerikanismus sowie die ‚westliche Kriegspolitik‘ gegenüber Russland“ (S. 4). Die Themen treten bei PEGIDA auf, aber was ist daran „links“? Weiß Prof. Patzelt nicht, dass es eine lange Tradition des Anti-Amerikanismus und damit verbunden von Kapitalismus- und Globalisierungskritik in der extremen Rechten gibt? Weiß Prof. Patzelt nicht, dass Kritik an der ‚westlichen Kriegspolitik‘ massiv auch von der AfD geübt wird, also einer rechtspopulistischen Partei? Oder unterschlägt er es? Beides wirft Fragen auf.

Um nur mal ein paar Beispiele zu liefern, um zu verdeutlichen, dass die genannten Themen in der extremen Rechten alles andere als subtil vorgetragen werden.

Der neurechte Vordenker Alain de Benoist etwa definierte noch zu Zeiten des Kalten Krieges das Lager als Hauptfeind

„dessen Vorhandensein und Beibehaltung die Völker in die tiefste Entartunge reißen“ würde, „dessen Begleiterscheinungen in unabwendbarer Weise die gesellschaftliche Auflösung und Aushöhlung der kollektiven Identitäten hervorrufen würden […]. Der Hauptfeind ist der bürgerliche Liberalismus und der atlantisch-amerikanische ‚Westen'“ (Benoist 1985: 132f.)

Oder, nochmal Benoist:

„Manche können sich nicht mit dem Gedanken abfinden, eines Tages die Mütze der Roten Armee tragen zu müssen. Wahrlich keine angenehme Zukunftsaussicht! Wir aber dulden nicht den Gedanken, einmal bei Brooklyn unsere restlichen Tage mit hamburgers ver-leben [!] zu müssen.“ (Ebd.: 87f.)

Dies mündet in der Behauptung die Amerikaner seien durch die Verbreitung des American Way of Life

„dazu verurteilt, alle Kulturen, mit denen sie in Berührung kommen, zugrunde gehen zu lassen, alle Traditionen zu entwurzeln. Indem sie ihre Lebensart ausführen, töten sie zwangsläufig die Seele der Völker, weil sie selbst aus einem solchen Mord entstanden sind.“ (Benoist 1984: 323)

Benoists neurechter Kollege Pierre Krebs spricht damit im Gleichklang von der „bösartige[n] Grimasse des American Way of Life“ (Krebs 1988: 25).

Titelblatt der Argumentationshilfe der NPD für Funktions- und Mandatsträger aus dem Jahr 2012.
Titelblatt der Argumentationshilfe der NPD für Funktions- und Mandatsträger aus dem Jahr 2012.

Gut, die Texte haben jetzt rund 30 Jahre auf dem Buckel, Anti-Amerikanismus und die damit verbundene Globalisierungskritik sind aber aus der extremen Rechten seitdem nicht verschwunden, wie etwa die NPD-Publikation „Wortgewandt. Argumente für Mandats- und Funktionsträger“ aus dem Jahr 2012 belegt, die seinerzeit vom damaligen NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel verfasst wurde. Auf Seite 8 dieser Publikation heißt es etwa:

„Im Widerstand gegen den Neokolonialismus Amerikas und den Staatsterrorismus Israels ist der Islam eine Kraftquelle für viele Völker und hat deshalb eine Bollwerk-Funktion gegen die kulturfeindlichen Globalisten.“

Oder auf Seite 31:

„Bei der Globalisierung handelt es sich um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes. Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA. Deshalb ist Globalisierung eine unverblümte Imperialismusstrategie der USA, um der ganzen Welt den von US-Konzernen ausbeutbaren American Way of Life – besser: American Way of Death – aufzuzwingen.“

Diese Liste ließe sich beliebig mit allen möglichen Aktueren der extremen Rechten der Gegenwart fortsetzen. Sie ließe sich genauso beliebig mit bereits historischen Zitaten von Akteuren der „Konservativen Revolution“ ausdehnen. All das weiß Prof. Patzelt nicht?

Die Wirmer-Flagge als „Beweis“ der Unbedenklichkeit von PEGIDA

Diese inhaltlichen Wissenslücken ziehen sich wie ein roter Faden durch Prof. Patzelts Text. In Bezug auf die auf PEGIDA-Demonstrationen vielfach zu sehenden „Wirmer-Flaggen“ konstatiert er, diese seien gerade nicht als „rechts“ oder „faschistisch“ ausdeutbar (S. 70). In einer Fußnote dazu erklärt Patzelt:

„Name und Gestaltung dieser Flagge (schwarz-goldenes Kreuz auf rotem Grund) geht zurück auf den katholischen Zentrumspolitiker Josef Wirmer, im Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler gegen Hitler tätig und 1944 hingerichtet. Er entwarf diese Flagge 1944 als ein neues Nationalsymbol für ein nach-nazistisches Deutschland. Attraktiv für PEGIDA-Teilnehmer ist diese Flagge anscheinend als klar nicht-nazistische Alternative zur Bundesfahne, welche die -von PEGIDA heftig kritisierte – bestehende deutsche Demokratie symbolisiert.“

Das ist zwar eine korrekte Beschreibung des historischen Hintergrunds, den aktuellen politischen Kontext und die Vereinnahmung dieses Symbols durch die extreme Rechte vergisst Patzelt hingegen zu erwähnen, oder er weiß es schlichtweg nicht. So war die Wirmer-Flagge bereits Symbol des Deutschen Kollegs rund um den Antisemiten und Holocaust-Leugner Horst Mahler und wurde intensiv von Politically Incorrect als Alternative zur Deutschlandfahne beworben. Der Blog www.netz-gegen-nazis.de hat dazu einen kurzen und Informativen Artikel verfasst.

Damit bekommt die Verwendung dieser Flagge – anders als von Patzelt dargestellt – eine sehr einschlägige Konnotierung und ist sehr wohl strukturell mit der extremen Rechten verbunden, die sehr flexibel ist, wenn es darum geht, historische Symboliken in die eigene Ideologie einzupassen.

PEGIDA eine demokratische Bewegung?

In der eben zitierten Fußnote wird aber noch eine weitere Fragestellung aufgemacht. Nämlich die Frage, wie demokratisch PEGIDA ist, wenn dort eine Alternative zur kritisierten bestehenden deutschen Demokratie eingefordert wird. Für Patzelt ist der Fall klar. Mit zwei Fragestellungen nähert er sich dem Thema. Einmal wurde in seiner Studie die grundsätzliche Zustimmung der PEGIDA-Demonstranten zur Demokratie abgefragt und anschließend die Zustimmung zur Demokratie wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert.

Demnach sähen 71% in der Demokratie grundsätzlich etwas positives (S. 74), zufrieden mit der Demokratie wie sie in der Bundesrepulik funktioniert, waren im Mai hingegen nur 3% der befragten PEGIDA-Demonstranten (S. 76). Patzelt folgert daraus „grundsätzliche Gegenerschaft zur Demokratie lässt sich den PEGIDA-Demonstranten also nicht mit nachvollziehbaren Gründen zuschreiben.“ (S. 74) Das Problem ist nur: Mittels der gestellten Fragen lässt sich überhaupt nicht darauf schließen, was PEGIDA-Demonstranten unter Demokratie verstehen. Als Professor der Politikwissenschaft sollte Patzelt wissen, dass es in der extremen Rechten seit jeher Versuche gibt, den Demokratie-Begriff anzueignen und vom aus ihrer Sicht ideologischen Übel wie den Menschenrechten oder auch dem Rechtsstaatsprinzip zu befreien. Anders ausgedrückt, in der extremen Rechten wird massiv versucht, die Werteorientierung wie sie im Modell der liberalen Demokratie ideengeschichtlich angelegt ist, zu beseitigen. Offensichtlich wird dies schon allein durch die NPD, die ja auch in ihrem Namen für sich in Anspruch nimmt, eine demokratische Partei zu sein. In der Logik Patzelts wäre damit bewiesen, dass sich die NPD nicht in grundsätzlicher Gegnerschaft zur Demokratie befindet. Und tatsächlich sahen nicht alle der befragten Personen, die angaben NPD-Wähler zu sein, in der Demokratie etwas problematisches. Im April hatten von den befragten NPD-Anhängern 52% und im Mai 35% so ihre Probleme mit der Demokratie im Allgemeinen (S. 74). Das klärt indes nicht die Frage, was diese Personen unter Demokratie verstehen.

Auch hier wieder stellt sich die Frage: Kennt Patzelt die Demokratiediskurse in der extremen Rechten und speziell der Neuen Rechten nicht, oder unterschlägt er sie? Auch hier wieder ein paar einschlägige Zitate. Der von mir bereits zitierte Alain de Benoist jedenfalls führt zum Thema folgendes aus:

„Die antike Demokratie gründet sich auf die Idee der organischen Gemeinschaft, die moderne als Erbin des Christentums und der Aufklärung stützt sich dagegen einzig auf das Individuum.“ (Benoist 1986: 24)

Oder auch folgendes:

„Der ‚Volksstaat’, der echte demokratische Staat, kann also nicht mit dem liberalen Staat übereinstimmen. Die Demokratie ist in erster Linie eine ‚-kratie’, das heißt eine Form der politischen Herrschaft, die als solche eine Macht in sich schließt. Der Liberalismus ist dagegen eine Lehre der Begrenzung aller politischen Herrschaft und mißtraut der Macht prinzipiell. Die Demokratie ist eine Form der Regierung und des politischen Handelns; der Liberalismus wiederum eine Ideologie der Einengung aller Regierungen, die die Politik entwertet, um sie der Ökonomie unterzuordnen. Die Demokratie stützt sich auf die Volkssouveränität; der Liberalismus auf die Rechte des Individuums.“ (Ebd.: 45)

So ganz nebenbei werden also die Rechte des Individuums in Frage gestellt, das Individuum letztlich zur willkürlichen Verfügungsmasse des Staates.

Bei der NPD klingt das in der bereits genannten Argumentationshilfe wie folgt:

„Demokratisch sind wir nicht nur deshalb, weil wir eine wahre Volksherrschaft an die Stelle der liberalistischen Parteien- und Interessengruppen-Herrschaft setzen wollen, sondern auch, weil wir entschieden für eine deutsche Volksherrschaft anstelle einer multikulturellen Bevölkerungsherrschaft eintreten. Eine ‚multikulturelle Demokratie’ ist nicht vorstellbar, sondern Demokratie ist immer an ein konkretes, homogenes Staatsvolk gebunden und somit nur als Nationaldemokratie authentisch. Deshalb trägt unsere Partei auch das Attribut ‚nationaldemokratisch’ im Namen.“ (S. 51f.)

Aber auch die Umdeutungsversuche des Demokratiebegriffs sind alles andere als neu. Carl Schmitt, von Prof. Gessenharter einmal als ‚Kronjurist‘ der Nazis bezeichnet (Gessenharter 2002: 193), ist da sicherlich kein unbekannter Name. Und auch hier wieder ein eindrückliches Zitat:

„Beides, Liberalismus und Demokratie, muß voneinander getrennt werden, damit das heterogen zusammengesetzte Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht. Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“ (Schmitt 2002a: 13f.)

Und mit Carl Schmitt scheint sich Patzelt mal beschäftigt zu haben, zumindest beruft er sich auf ihn in einem Aufsatz mit dem Titel „Was unterhalb von Pegida brodelt“ (S. 2). Es sei denn natürlich, Patzelt wäre über den vermutlich bekanntesten Satz Carl Schmitts „die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind“ (Schmitt 2002b: 26) nicht hinaus gekommen.

Natürlich lässt sich aus meinen Ausführungen nicht der Schluss ziehen, diese wären die theoretischen Grundlagen der PEGIDA-Demonstranten. Dies wäre überhaupt erst einmal zu untersuchen. Die Ausführungen hier dienten lediglich dazu, um zu illustrieren, dass die Behauptung Patzelts, eine grundsätzliche Gegnerschaft zur Demokratie ließe sich den PEGIDA-Demonstranten nicht zuschreiben, durch seine methodische Herangehensweise in keiner Form gedeckt ist. Solange nicht der genaue Demokratiebegriff (oder vermutlich eher die Demokratiebegriffe), der Demonstranten von PEGIDA greifbar wird, lässt sich eine solche Aussage überhaupt nicht treffen. Wie eben dargelegt, werden die Demokratiemodelle, wie sie immer wieder innerhalb der extremen Rechten zu finden sind, zu Chiffren, die im Kern nichts anderes sind, als auf Willkür gegründete Herrschaftsformen oder anders ausgedrückt diktatorische Regime, die ob der positiven Konnotierung des Demokratiebegriffs mit eben diesem belegt werden. Da sich im Organisatorenteam von PEGIDA auch Bezüge zur Identitären Bewegung finden lassen, ist zumindest für den Führungskreis von PEGIDA davon auszugehen, dass diese Demokratiediskurse der extremen Rechten bekannt sind.

Patzelt und der harmlose PEGIDA-Patriotismus

Ähnlich absurd sind in Patzelts Studie die Ausführungen zum Thema Patriotismus. Zunächst konstatiert er, es sei vor allem deutscher Patriotismus, der zur Teilnahme an den PEGIDA-Demonstrationen motiviere (S. 9). Anlass für diese Feststellung ist die im von Patzelt eingesetzten Fragebogen formulierte Aussage „Ich fühle mich als deutscher Patriot!“. Auch hier wieder: Das kann alles mögliche bedeuten. Weder wird das Verständnis dessen, was die Demonstrationsteilnehmer unter Patriotismus verstehen genauer untersucht, noch hält es Patzelt für nötig, den Begriff Patriotismus zu definieren. Trotzdem kommt er später in der Studie zu der weitreichenden Behauptung, der PEGIDA-Patriotismus laufe auf keinerlei vorwerfbaren Positionen hinaus (S. 72). Die Sätze vorher lesen sich allerdings deutlich anders: Angst vor Überfremdung, die Ansicht, niemand solle dort leben, wohin er nicht passe, und die Auffassung es solle Deutschland verlassen, wem das Land nicht gefällt, gehen mit diesem angeblich harmlosen PEGIDA-Patriotismus einher. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Verdichtung dieser Ansichten sehr deutlich auf ein rassistisches Weltbild hindeuten, ist ziemlich hoch, nur Patzelt kann darin „keine mit plausiblen Gründen vorwerfbaren Positionen“ erkennen.

PEGIDA und das Thema Zuwanderung

Als weitere Motivation zur Demonstrationsteilnahme von PEGIDA-Anhängern macht Patzelt das Thema Zuwanderung aus. In seiner Formulierung: „Drittens ist es tatsächlich gerade die von Deutschland passiv hingenommene Zuwanderung, zumal über die Nutzung des Asylrechts, die zur wiederholten Demonstrationsteilnahme motiviert.“ (S. 10) Und später im Text:

„Dabei scheint gerade der freie Zustrom von Asylbewerbern die Willkomenschancen für Bürgerkriegsflüchtlinge zu beeinträchtigen, und dürfte die nicht abreißende Kette von nicht enden wollenden Bürgerkriegen und Missständen in anderen Teilen der Welt mitsamt ihren Folgen für die Einwanderung nach Deutschland bald erst recht ein Gefühl von ‚genug ist genug!‘ auslösen.“ (S. 95).

Die Frage allerdings, wo es denn in Deutschland einen „freien Zustrom von Asylbewerbern“ gibt, dürfte Patzelt nicht beantworten können. Interessanter allerdings ist, dass diese Interpretationen Patzelts überhaupt keine Grundlage finden in dem von ihm eingesetzten Fragebogen. Dort finden sich zu besagtem Thema lediglich vier Aussagesätze, die bewertet werden sollten. Diese lauten:

  • „Deutschland soll weiterhin politisch verfolgte Asylbewerber sowie Bürgerkriegsflüchtlinge aufnehmen!“
  • „Deutschland nimmt zu viele Asylbewerber auf!“
  • „Deutschland nimmt zu viele Bürgerkriegsflüchtlinge auf!“
  • „Ganz abgesehen von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen: Es sollte einfach überhaupt weniger Ausländer in Deutschland geben!“ (S. 99)

Es gibt also nur vier Behauptungssätze, welche die Befragungsteilnehmer bewerten sollen und die somit ausschließlich auf ihr Einstellungpotential schließen lassen, aber keinerlei Auseinandersetzung mit der realen Asylsituation in Deutschland beinhalten.

Patzelts Wahrnehmung vom Umgang mit PEGIDA

Wie ein roter Faden zieht sich durch Patzelts Studie die Forderung PEGIDA als Bewegung differenziert zu betrachten und nicht pauschal als rassistisch zu bezeichnen. Auf der anderen Seite scheut er sich nicht, pauschal alle PEGIDA-Gegner in einen Topf zu werfen und ebenso pauschal Medien und Politik einen falschen – das meint aus Patzelts Sicht ausgrenzenden – Umgang mit PEGIDA vorzuwerfen. Das mündet in der durch nichts unterlegten Behauptung: „Vermutlich hofften sie nachgerade darauf, dass sich PEGIDA zum Rechtsextremismus hin radikalisieren würde.“ (S. 22) Und mit Blick auf die Parteien links der Mitte folgert er:

„Die aber konnten ihrerseits die PEGIDA-Anhänger ohnehin nicht in nennenswertem Umfang erreichen, so dass für sie – freilich nicht für das Gemeinwesen – ihre scharfe Anti-PEGIDA-Rhetorik recht unschädlich war.“ (S. 24).

Oder schärfer noch etwas später:

„Zwar steht auf der Haben-Seite PEGIDAs, zumal in Dresden, auch eine erhebliche Politisierung der Art, wie sie die politische Bildungsarbeit selbst mit noch so großem didaktischem Aufwand nicht einmal ansatzweise erreichen kann. Doch gegenzurechnen ist eine tiefgreifende Vergiftung sehr vieler sozialer Beziehungen aufgrund des so unangemessen heftigen Kampfes gegen PEGIDA.“ (S. 39)

Also, nochmal zum Mitschreiben: Nicht die aggressive Rhetorik von PEGIDA ist schädlich für das Gemeinwesen, sondern diejenigen sind es, die den aus allen Poren quellenden PEGIDA-Rassismus zurückweisen. Dass sich seit PEGIDA die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte vervielfacht hat, scheint für Patzelt keinerlei Relevanz zu haben. Für eine tragfähige Analyse des Phänomens PEGIDA ist dies allerdings schon eine relevante Rahmenbedingung.

Während Patzelt also auf der einen Seite mehr Differenzierung im Umgang mit PEGIDA fordert, tut er auf der anderen Seite das genaue Gegenteil. Die Politik hätte PEGIDA von Anfang an ausgegrenzt und auch die Medien hätten fundamental versagt (S. 78), den Höhepunkt findet Patzelt dabei in der Formulierung „die politisch-journalistische Klasse“ (S. 80). Da erstarre ich fast in Ehrfurcht vor dem Patzeltschen Differenzierungsvermögen.

Abgesehen davon entbehrt die Aussage Patzelts, PEGIDA sei von Anfang an durch die Politik ausgegrenzt worden, jeglicher Grundlage. Gerade in Sachsen hat von CDU bis AfD ein regelrechter Wettlauf stattgefunden, um mit PEGIDA ins Gespräch zu kommen. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig traf sich mit Führungspersonen von PEGIDA und auch diverse andere sächsische CDU-Abgeordnete hatten Kontakte zu PEGIDA-Sympathisanten. Selbst der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nahm an einer Diskussionsrunde in Dresden mit PEGIDA-Anhängern teil. Wo da die vollständige Ausgrenzung PEGIDAs durch „die“ Politik zu finden sein soll, bleibt Patzelts Geheimnis.

Patzelts Typisierung der PEGIDA-Demonstranten

Zu wirklicher Hochform läuft Patzelt schließlich auf, wenn er drei Profile von PEGIDA-Demonstranten ausfindig macht. Nach Patzelt nehmen an den Demonstrationen „xenophobe Patrioten“, „bedingt xenophile“ und „xenophobe Rechtsradikale“ teil (S. 86f.). Keine dieser drei Typisierungen wird von Patzelt sauber definiert. Die Einstufung als patriotisch verläuft gemäß der Selbsteinschätzung der Befragten ohne kritisch zu hinterfragen, was sich konkret dahinter verbirgt. Die Typisierung als rechtsradikal erfolgt gemäß der politischen Selbstverortung ganz rechts auf der eingesetzten links-rechts-Skala.

Die Beschreibung der Einstellungsmuster der „xenophoben Patrioten“ und der „xenophoben Rechtsradikalen“ durch Patzelt gleicht sich allerdings sehr auffällig, bei letzteren kommt zum vorgefundenen Einstellungshaushalt noch eine Affinität zu Gewalt hinzu. Eine wirkliche Transparenz ab wann wer in welches Profil kommt, entsteht so nicht.

Patzelt schätzt die Stärke der Gruppen auf 53% „xenophobe Patrioten“, 17% „xenophobe Rechtsradikale“ und 30% „bedingt Xenophile“ (S. 87ff.). Macht nach dieser Rechnung und dem was Patzelt so präsentiert rund 70% der befragten Demonstrationsteilnehmer, denen ohne größere Schwierigkeiten Rassismus unterstellt werden kann. 30% „bedingt Xenophile“ bedeutet nun allerdings auch nicht, dass diese vorurteilsfrei wären, Patzelt verpackt das nur geschickt. Bezeichnend dafür ist folgende Formulierung von Patzelt:

„Viele Pegidianer, doch mittlerweile wohl nicht mehr als ein Drittel, sind im Prinzip offen für Zuwanderer und Fremdes, möchten als Gegenleistung für solche Offenheit aber für sie unabdingbare Voraussetzungen erfüllt sehen – an deren Verfügbarkeit oder Nachhaltig (!) sie aber erhebliche Zweifel haben.“ (S. 92).

Auch hier wieder eine sehr weitreichende Interpretation Patzelts, die so nicht ohne weiteres aus dem von Patzelt eingesetzten Fragebogen ableitbar ist.

Wenn ich mir die abgefragten Aussagesätze ansehe, aus denen sich die von Patzelt angesprochenen „Voraussetzungen“ möglicherweise ableiten ließen, finde ich drei erfragte Items (S. 99f):

  • „Wer Deutschland nicht mag, soll Deutschland verlassen!“
  • „Niemand sollte in einem Land leben, in das er aufgrund seiner Kultur, seiner Religion, seines Verhaltens oder seines Aussehens nicht passt!“
  • „Wer in Deutschland Einfluss haben will, sollte erst einmal etwas für unser Land leisten!“

Die erste Aussage ist eine leichte Abwandlung eines vor allem auf Nazi-Demos eingesetzten Schlachtrufs und somit politisch eindeutig konnotiert. Die zweite Aussage lässt sich ohne weiteres als massiver Rassismus identifizieren, weil am Ende dieser Aussage das Bild steht, wer „artfremd“ ist, hat hier nichts zu suchen. Und die dritte Aussage erinnert stark an das, was in anderen Studien, z. B. in der von Wilhelm Heitmeyer verantworteten Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ als „Etabliertenvorrechte“ bezeichnet und zu recht als kritisch für eine Demokratie angesehen wird.

Betrachtet man den von Patzelt auf Seite 92 formulierten Satz noch einmal genauer, zeigt er vor allem eins: Rund ein Drittel der Befragten sind angeblich offen für Zuwanderung, zweifeln aber daran, dass sich Zuwanderer anständig benehmen und lehnen deshalb Zuwanderung im Grunde doch ab. Aber: Für den Großteil dieser Befragten dürfte gelten, dass sie kaum reale, im Alltag gesammelte Erfahrungen haben mit den Menschen, über die sie urteilen, und dies gilt in besonders starker Form nocheinmal für den Islam. Alle Studien über PEGIDA haben immer wieder gezeigt, und das zumindest zeigt auch Patzelts Studie, dass ein Großteil der Demonstrierenden aus Dresden, dem Dresdner Umland oder Sachsen stammen. Im April traf dies laut Patzelt auf 90% und im Mai auf 95% der befragten Demonstrationsteilnehmer zu (S. 11). Nun ist allerdings der Ausländeranteil in Sachsen außerordentlich gering. Ende 2012 betrug demnach der Anteil der Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Sachsen 2,2%. Der Anteil der Muslime in Sachsen wurde von Innenminister Ulbig im Jahr 2010 mit 0,1% beziffert.

Was bleibt ist also ein wie auch immer bei den PEGIDA-Demonstranten zustande gekommenes Bild von „Ausländern“, „Asylanten“ und Moslems, das in den wenigsten Fällen einen Realitätscheck durchlaufen hat und deshalb nicht rational sondern vorurteilsbeladen und damit natürlich auch anschlussfähig für Rassismus ist. Dass es gerade die fehlenden lebensweltlichen Erfahrungen im Umgang mit als fremd wahrgenommenen Menschen sind, die zu einem höheren Maß an Rassismus und Fremdenfeindlichkeit führt, ist empirisch vielfach gezeigt worden (so zum Beispiel auch, durch die schon mehrfach in diesem Text genannten „Mitte-Studien“). Auch hier blendet Patzelt also wieder einmal einen relevanten gesellschaftspolitischen Rahmen aus, der aber für die Interpretation seiner ermittelten Daten unabdingbar ist.

Fazit

Was bleibt ist ein länglicher Text von Patzelt, in dem er es durchweg versäumt für seine Untersuchung wesentliche Begrifflichkeiten sauber zu definieren. An vielen Stellen kennt Patzelt relevante Diskurse in der extremen Rechten nicht, die für seine Untersuchung wesentlich gewesen wären, oder er unterschlägt diese. Unter dem Strich bleibt: Patzelt hätte sich das aufwändige Befragungsdesign eigentlich sparen können. Zentrale Aussagen von ihm sind reine Interpretationen und Unterstellungen, die durch die erhobenen Daten in keiner Weise gedeckt sind.

Mit der Methode Patzelt wäre es sogar möglich, den völkisch-rassistischen Charakter des Nationalsozialismus wegzudiskutieren, indem argumentiert wird, wenn nicht jede Person, die in der NSDAP war oder einer NSDAP-Veranstaltung teilgenommen hat, über ein geschlossen völkisch-rassistisches Weltbild verfügt, kann auch die Gesamtbewegung nicht diese Eigenschaft haben.

Vor diesem Hintergrund klingt es wie eine Drohung, wenn Patzelt ankündigt, sich im Herbst um die „linken“ Themen von PEGIDA kümmern zu wollen, wenn die Demonstrationen dann noch stattfinden. So wie Patzelt bislang vorgegangen ist, wird er PEGIDA dann entweder als Querfront-Bewegung darstellen oder als eine im Kern „linke“ Bewegung.

Literatur

Im Text habe ich eine Reihe von Publikationen zitiert. In der jetzt folgenden Literaturliste nehme ich allerdings nur jene Publikationen auf, die im Text nicht verlinkt sind.

Benoist, Alain de (1984): Aus rechter Sicht. Eine kritische Anthologie zeitgenössischer Ideen Band 2, Tübingen/Buenos Aires/Montevideo.

Benoist, Alain de (1985): Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite, Krefeld.

Benoist, Alain de (1986): Demokratie. Das Problem, Tübingen/Zürich/Paris.

Gessenharter, Wolfgang (2002): Intellektuelle Strömungen und Vordenker in der deutschen Neuen Radikalen Rechten; in: Thomas Grumke/Bernd Wagner (Hrsg.): Handbuch Rechtsradikalismus. Personen – Organisationen – Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft, Opladen, S. 189 – 201.

Krebs, Pierre (1988): Unser inneres Reich; in: Pierre Krebs (Hrsg.): Mut zur Identität. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Struckum, S. 9 – 39.

NPD (2012): Wortgewandt. Argumente für Mandats- und Funktionsträger, Berlin.

Schmitt, Carl (2002a): Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 8. Auflage, Berlin (Nachdruck der 1926 erschienenen 2. Auflage).

Schmitt, Carl (2002b): Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, 7. Auflage, Berlin (5. Nachdruck der Ausgabe von 1963).

 

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