Uwe Wurlitzer, seines Zeichens Generalsekretär der sächsischen AfD und Mitglied des Sächsischen Landtags, hatte heute eine Idee: Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die zu Frage stellen, ob er ein Antisemit sei. Warum?
Cem Özdemir hatte in der Sendung Maybritt Illner mit Blick auf die PEGIDA-Demonstrationen von einer „Mischpoke“ bezeichnet. Nun „weiß“ Herr Wurlitzer:
„Der Begriff Mischpoke kommt aus dem jiddischen bedeutet so viel wie Familie, Gesellschaft, Bande. Ich frage mich, warum ein bekennender Muslim, wie Herr Özdemir einen anderen Glauben mit dieser Wortwahl, die im deutschsprachigen Raum eindeutig negativ konnotiert ist, öffentlich herabzuwürdigen sucht.“
Die Ausführungen von Herrn Wurlitzer sind in mehrerer Hinsicht wirr. Zum einen erschließt sich der Sprung von der von Herrn Wurlitzer referierten neutralen Bedeutung des Begriffs hin zu der von ihm unterstellten negativen Konnotierung nicht. Zum anderen hat Cem Özdemir den Begriff nicht wie von Herrn Wurlitzer behauptet mit Blick auf eine andere Glaubensrichtung benutzt, auch nicht wie von Herrn Wurlitzer mit seiner Suggestivfrage unterstellt, im Hinblick auf das Judentum. Der Antisemitismusvorwurf schlägt also fehl. Denkt man die „Frage“ von Herrn Wurlitzer konsequent zu Ende, stellt diese nichts anderes als den Versuch dar, Cem Özdemir in die islamistische Ecke zu stellen.
Trotzdem loht es sich, noch einen Moment bei dem Thema zu bleiben. Ein Blick in den Duden offenbart folgende Bedeutungen des Begriffs „Mischpoke“:
1. stammt der Begriff wie von Herrn Wurlitzer auch festgestellt aus dem jiddischen.
2. hat der Begriff laut Duden zwei Bedeutungen: a) jemandes Familie, Verwandtschaft; b) üble Gesellschaft, Gruppe von unangenehmen Leuten.
Um seinen wirren Gedankengang überhaupt irgendwie unter die Leute bringen zu können, unterschlägt er die zweite Bedeutung.
Interessant ist auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Vorwurfs durch Herrn Wurlitzer auf der facebook-Seite der sächsischen AfD-Landtagsfraktion (siehe Beitragsbild). Laut Zeitstempel muss das Bild am heutigen Samstag den 13.12.2014 gegen 10 Uhr Vormittags eingestellt worden sein. Die Maybritt Illner-Sendung lief jedoch schon vor zwei Tagen. Wieso kommt Herr Wurlitzer also erst jetzt mit dieser Geschichte, wenn es ihn doch so in Rage gebracht hat?
Ich spekuliere jetzt einfach mal ein wenig. Am gestrigen Freitag den 12.12.2014 erschien in dem Blog von Roland Tichy1 ein Artikel mit dem Titel „Pegida: Die Schweigsamen und das Lärmen der Medien„. In diesem Artikel findet sich folgende Passage:
„Nun ja, das Wort kommt aus dem jiddischen und bezeichnet Familie, Gemeinschaft, Bande und wird in Deutschland abwertend für jüdische Familien gebraucht. Schon bezeichnend, dass der Grünen-Chef sich aus der Sprachkammer des Nationalsozialismus bedient, um Menschen zu entwerten, die nicht seines Glaubens sind.“
Da sich die Aussagen von Herrn Tichy und Herrn Wurlitzer doch sehr ähneln, ist es nicht ausgeschlossen, dass Letzterer von Ersterem zu seinem facebook-Eintrag inspiriert wurde.
Allerdings ist der Aufschlag, den Herr Tichy wählt, doch noch um einiges hinterhältiger. Dass im Nationalsozialismus ein jiddischer Begriff gegen Juden gewendet wurde, ist von eigener Perfidie. Anders als beispielsweise bei einem Wort wie „Untermensch“ kann man jedoch bei einem Begriff wie „Mischpoke“ nicht unterstellen, dass er aus der Sprachkammer des Nationalsozialismus stamme. Zumal die abwertende Bedeutung des Begriffs offenbar auch schon im Brockhaus von 1911 zu finden war.
Cem Özdemir als Antisemiten zu brandmarken oder ihn in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken, hat aber noch aus einem anderen Grund seine ganz eigene Bösartigkeit. Cem Özdemir ist immer wieder Opfer von rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen. Und das, was sich derzeit unter der Bezeichnung von PEGIDA und co. unter dem Deckmantel gegen Islamismus zu sein, sich tatsächlich aber gegen den Islam im Ganzen richtet, öffentlich artikuliert, richtet sich ganz explizit auch gegen Cem Özdemir und jeden anderen Muslim und jede Muslima in diesem Land. Dass ein unmittelbar Betroffener sich das Recht heraus nimmt, denjenigen gegenüber, die ihn bedrohen, auch mal etwas derber im Ton zu sein, dürfte verzeihbar sein, unabhängig von der Frage, ob der gewählte Begriff glücklich war oder nicht.
Endgültig scheinheilig wird es allerdings, wenn ich mir vor Augen halte, dass gerade die AfD unter dem Slogan „Mut zur Wahrheit“ gegen die vermeintlich alles beherrschende political correctness zu Felde zieht und die Meinungsfreiheit heranzieht, um Diskriminierung zu rechtfertigen. Offenbar gilt für die AfD Meinungsfreiheit immer nur dann, wenn sie damit andere attackieren kann. Irgendwie ganz schön jämmerlich.
- Nachtrag 13.12.2014 23 Uhr: Roland Tichy war bis Juli 2014 Chefredakteur der WirtschaftsWoche [↩]
Vielleicht sollten Sie sich ein bisschen mehr belesen.
Ihr satz: „Dass im Nationalsozialismus ein jiddischer Begriff gegen Juden gewendet wurde, ist von eigener Perfidie. Anders als beispielsweise bei einem Wort wie “Untermensch” kann man jedoch bei einem Begriff wie “Mischpoke” nicht unterstellen, dass er aus der Sprachkammer des Nationalsozialismus stamme.“
Nur ein Zitat aus „Deutsche Geschichten“
„Die Nazis hatten die Macht im Staat und sie bedrohten jeden einzelnen Juden — auch ihn selbst und seine Familie. Ehe sie ihn endlich laufen ließen, hatten die SA-Schläger ihn gewarnt: »Verschwinde mit deiner Mischpoke aus Deutschland, dreckiger Jude! Beim nächsten Mal schlagen wir dich tot!« Dann hatten sie ihr Lied gegrölt: »Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt.«“
Quelle: http://www.deutschegeschichten.de/script/printpage.asp?loc=%2Fpopup%2Fobjekt.asp%3FOzIID%3D6246%26ObjKatID%3D107%26ThemaKatID%3D1003
Das Herr Özdemir ausgerechnet diesen Begriff verwendet lässt zumindest vermuten welch geistes Kind hier wirkt. Ihre Partei scheint auf einigen Augen Blind zu sein und Sie leider auch.
Nur widerspricht Ihr Zitat nicht meiner Aussage. Dass Sie Herrn Özdemir und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht mögen, sei Ihnen unbenommen. Aber Cem Özdemir eine inhaltliche oder ideologischen Nähe zum NS zu unterstellen, ist und bleibt absurd.
Sehr geehrter Herr Jennerjahn,
ich bin bisher bei PEGIDA und Co nicht mitgegangen. Weil das hier in Chemnitz („Chemnitz wehrt sich“) auch unter der Überschrift „gegen Überfremdung“ abläuft und sehr nach unseren Dorfnazis klingt. Dennoch würde ich liebend gern gegen islamistische Hassprediger und Kinderköpfer, aber auch gegen eine offenbar verfehlte Einwanderungspolitik auf die Straße gehen. Ich bin sehr für Hilfe für Verfolgte und Kriegsflüchtlinge, auch unter eigenen Opfern und Mitwirkung, aber habe auch viel Verständnis für die Sorgen der von Özdemir Verunglimpften, die nicht auf Vorurteilen, sondern nicht selten auf eigenem Erleben südländischen Machotums, von Kriminalität und Verachtung beruhen. 2% der 2% Migranten benehmen sich offenbar so, dass es zum Problem wird.
Özdemir ist in der Tat keine primär antisemitische Absicht beim Gebrauch des Wortse „Michpoke“ zu unterstellen, wollte er doch eindeutig nicht Juden, sondern eine bestimmte Gruppe deutsche Bürger beleidigen.
Der unkritische und unsensible Gebrauch solcher Nazi-Kampfbegriffe entlarvt jene Sorte von „harmlosem“, weit verbreiteten Alltagsantisemitismus auf, der in großen Teilen des deutschen Volkes nach wie vor unterschwellig vorhanden ist. Der z.B. Tante Inge auf meine Ankündigung, im „Schalom“ Mitagessen gehn zu wollen, voller Inbrunst sagen lässt: „Nee, zum Judn würd i net gehn!“ Cem ist herborragend integriert, herzlichen Glückwunsch!
Sie irren sich gewaltig, wenn Sie die Ursache für den nun durch PEGIDA und co. auf die Straße getragenen Hass, bei den Opfern des Hasses suchen. Das ist zwar ein häufig vorzufindendes Erklärungsmuster, aber weder sind Juden am Antisemitismus schuld, noch Moslems am Islamhass, (vermeintliche) Ausländer an Rassismus usw. Die Ursache des Hasses liegt ausschließlich bei den Tätern und so ist das auch bei PEGIDA, HOGESA und wie sie alle heißen und auch bei den Menschen, die dort hinter Kriminellen herlaufen und irgendeinen Blödsinn über die „Lügenpresse“, Weihnachtsmärkte, die nun Wintermarkt heißen müssen usw. herbeiphantasieren. Übrigens ist auch das wissenschaftlich recht gut nachgewiesen. Würde ihre Behauptung stimmen, dann müssten Rassismus und co. da verstärkt zu finden sein, wo ein erhöhter Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund lebt. Das ist nachweislich nicht der Fall. Solcherart menschenfeindliche Einstellungen grassieren vor allem dort am stärksten, wo der Ausländeranteil sehr gering ist. Anders ausgedrückt: Es hasst sich eben leichter, wenn man seine eigenen Vorurteile nicht mit der Realität ablgeichen muss.
Zu dem im letzten Absatz angesprochenen Thema habe ich in meinem Blogeintrag alles gesagt.