Wie viel Verfassungsschutz braucht der Freistaat Sachsen?

Im Herbst 2010 schrieb ich als Mitglied des Sächsischen Landtags kurz vor den anstehenden Beratungen über den sächsischen Doppelhaushalt 2011/20112 ein Diskussionspapier zur Frage „Wie viel Verfassungsschutz braucht der Freistaat Sachsen?“. In dem Papier habe ich gezeigt, dass der Freistaat Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich viel personelle und finanzielle Ressourcen in das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) steckt. Das Papier mündete in dem Vorschlag, deutliche Einsparungen beim LfV vorzunehmen und die Ausstattung an den Durchschnitt der bundesrepublikanischen Flächenländer anzupassen.

Das Papier entstand rund ein Jahr vor der Selbstenttarnung des so genannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und vor bekannt werden der umfassenden Versäumnisse des sächsischen LfV im Umgang mit dem NSU-Komplex. Seitdem ist meine kritische Position gegenüber Verfassungsschutzbehörden nicht geringer geworden und ich habe sie verschiedentlich niedergeschrieben (z. B. hier).

Nun liegt der Regierungsentwurf für den sächsischen Doppelhaushalt 2017/2018 dem Sächsischen Landtag zur Beratung vor. Dabei fällt auf, dass dem LfV ein umfassender Mittelaufwuchs und auch ein personeller Zuwachs in den nächsten beiden Jahren bevorsteht. Zumindest, sofern der Regierungsentwurf an dieser Stelle so die Unterstützung der Regierungsfraktionen von CDU und SPD im Sächsischen Landtag bekommt.

Dies führte bei mir zu der Idee eine aktualisierte Version des alten Papieres anzufertigen und noch einmal in den Blick zu nehmen, wie sich die Finanz- und Personalsituation der einzelnen Landesämter für Verfassungsschutz seitdem entwickelt hat.

Dafür habe ich die Personalausstattung der einzelnen Verfassungsschutzbehörden über die beschlossenen Haushaltspläne ermittelt. In der Regel spiegeln die Angaben also die Personalsituation 2016 wieder. Im Falle Sachsen-Anhalts und Brandenburgs liegen die Angaben aus den jeweiligen Verfassungsschutzberichten 2014 zu Grunde, weil sich die Personalbestände nicht aus den Haushaltsplänen ableiten ließen (zumindest ist mir es nicht gelungen, für sachdienliche Hinweise, falls dies doch möglich sein sollte, bin ich dankbar).

Bei der Finanzausstattung konnte nur für 11 Bundesländer exakte Werte ermittelt werden. Leider weisen nicht alle Haushaltspläne genügend Transparenz auf, um die exakten Personal- und Sachmittelkosten ablesen zu können. Bei den fünf Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ließen sich über den Haushaltplan lediglich die Sachkosten herauslesen. In die Betrachtung der Frage, wie viel die einzelnen Bundesländer jeweils pro Einwohner für ihre Verfassungsschutzbehörde ausgeben, sind diese fünf Länder daher nicht mit eingeflossen.

Fehlerkorrektur

Bevor ich auf die aktuelle Situation eingehe, muss ich einen Fehler korrigieren, der mir bei dem Diskussionspapier 2010 unterlaufen ist. Bei der neuerlichen Auseinandersetzung mit den Daten ist mir aufgefallen, dass ich vor sechs Jahren die Einwohnerzahl des Saarlandes deutlich zu hoch angesetzt hatte. Statt mit rund 1 Mio. Einwohner zu rechnen, schlug ich dem Saarland rund 2,5 Mio. Einwohner zu. Die Korrektur hat folgende Konsequenzen:

  1. Bei der Personalausstattung der dortigen Verfassungsschutzbehörde im Verhältnis zur Einwohnerzahl lag das Saarland nicht auf Rang 12 im Bundeslandvergleich, sondern auf Platz 2. Auf 12.781 Einwohner kommt dort ein Verfassungsschutzmitarbeiter. Mit der falschen Einwohnerzahl kam ich damals auf einen Verfassungsschutzmitarbeiter auf 32.121 Einwohner.
  2. Bei der finanziellen Ausstattung lag das Saarland damals nicht auf Rang 9, sondern ebenfalls auf Rang zwei. Dort wurden je Einwohner 3,88 € für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde aufgewendet und nicht wie fälschlicherweise angenommen 1,54 €.
  3. Im Bundesdurchschnitt kamen somit nicht 29.517,7 Einwohner auf einen Verfassungsschützer, sondern 28.942,69. Der Schnitt der Flächenländer lag nicht bei 31.763,3 Einwohner je Verfassungsschützer, sondern bei 31.095,07.
  4. Die Bundesländer gaben im Durchschnitt nicht 2,34 € je Einwohner für Verfassungsschutzaufgaben aus, sondern 2,41 €. Bei den Flächenländern lagen die durchschnittlichen Aufwendungen nicht bei 2,09 €, sondern bei 2,16 €.

Der Übersichtlichkeit halber stelle ich noch einmal die alten (fehlerhaften) Werte und die neuen Werte in tabellarischer Form gegenüber. Für eine größere Ansicht bitte die Bilder anklicken.

Übersicht Personalausstattung Verfassungsschutzbehörden
Übersicht Personalausstattung Verfassungsschutzbehörden

 

Übersicht finanzielle Ausstattung Verfassungsschutzbehörden
Übersicht finanzielle Ausstattung Verfassungsschutzbehörden

Trotz dieses Fehlers bleibt jedoch die Grundfeststellung, dass das LfV Sachsen zum damaligen Zeitpunkt überdurchschnittlich stark ausgestattet war, richtig.

Entwicklung der Mitarbeiterzahl

Der Vergleich der Personalstruktur der einzelnen Verfassungsschutzbehörden zeigt, dass es bundesweit einen Zuwachs an Personalstellen gegeben hat. Rund 159 Mitarbeiter mehr stehen den Verfassungsschutzbehörden der Länder bundesweit zur Verfügung, betrachtet man nur die Flächenländer sind es knapp 110 Personalstellen. In die Betrachtung des Personalzuwachses sind Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt nicht mit eingeflossen, da hier die Vergleichswerte fehlen.

Entwicklung der Mitarbeiterzahl LfV-Behörden
Entwicklung der Mitarbeiterzahl LfV-Behörden

Die Tabelle zeigt unterschiedlich Entwicklungen. Während es in einigen Bundesländern wie zum Beispiel in Baden-Württemberg und Brandenburg deutliche Personalreduzierungen gegeben hat, gab es andernorts deutliche Zuwächse, so in Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.

Gleichzeitig ist es wichtig auch einen Blick auf die Zahl der Verfassungsschutzmitarbeiter im Verhältnis der Einwohnerzahl der Bundesländer zu werfen. Ein Abbau von Stellen bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich auch dieses Verhältnis verändert hat.

Übersicht der Zahl der Verfassungsschutzmitarbeiter im Verhältnis zur Einwohnerzahl
Übersicht der Zahl der Verfassungsschutzmitarbeiter im Verhältnis zur Einwohnerzahl

Nahezu gleich geblieben ist dieses Verhältnis in den Ländern Bayern, Hamburg, Saarland, Sachsen und Thüringen. In Baden-Württemberg hat es einen leichten Rückgang gegeben. Starke Zuwächse verzeichnen Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.

Das sächsische LfV liegt bei der Personalausstattung damit dennoch deutlich sowohl über dem Bundesdurchschnitt als auch dem Durchschnitt der Flächenländer.

Entwicklung der finanziellen Ausstattung

Bei der Betrachtung der Finanzausstattung der Verfassungsschutzbehörden ist zu beachten, dass weniger die absoluten Zahlen, d. h. wie hoch das Gesamtbudget der einzelnen Behörden ist, aussagekräftig sind, sondern wiederum die Ausgaben im Verhältnis zur Bevölkerung eines Bundeslandes. Die Analyse der Finanzausstattung der Verfassungsschutzbehörden 2010 ergab eine breite Streuung der Pro-Kopf-Ausgaben für die Verfassungsschutzbehörden von 1,48€ pro Einwohner in Baden-Württemberg bis zu 6,77€ pro Einwohner in Hamburg.

Die Auswertung der aktuellen Zahlen zeigt, dass im Vergleich zu 2010 in allen Bundesländern die Etats der Verfassungsschutzbehörden angestiegen sind. Die Steigerungen reichen dabei von 5% in Hamburg bis zu 58% in Hessen.

Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben 2010 und 2016
Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben 2010 und 2016

In Sachsen sind die Pro-Kopf-Ausgaben für das LfV von 2,86 € auf 3,42 € angestiegen, das entspricht einer Zunahme von 16%. Auch bei der finanziellen Ausstattung liegen die Ausgaben für das LfV in Sachsen deutlich sowohl über dem Bundesdurchschnitt als auch dem Durchschnitt der Flächenländer.

Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz im Doppelhaushalt 2017/2018

Während sich der Personalaufwand im Verhältnis zur Einwohnerzahl beim sächsischen LfV in den letzten Jahren kaum verändert hat, ist die finanzielle Ausstattung in den letzten Jahren deutlich gestiegen.

Der vorliegende Regierungsentwurf für den Doppelhaushalt 2017/2018 bringt für das sächsische LfV – sofern er an dieser Stelle von der Landtagsmehrheit gebilligt wird – ein deutliches Plus sowohl an Personal als auch an finanzieller Ausstattung.

So soll die Zahl der Mitarbeiter von gegenwärtig 185 auf 195 im Jahr 2017 und 197 im Jahr 2018 ansteigen. Damit käme in Sachsen im Jahr 2018 ein Verfassungsschützer auf rund 20.585 Einwohner, während das Verhältnis in meiner Untersuchung aus dem Jahr 2010 noch bei einem Verfassungsschützer auf 21.488 Einwohner lag.

Die finanzielle Ausstattung des sächsischen LfV soll ebenfalls in zwei Stufen ansteigen. Im Vergleich zu 2016 soll das LfV 2017 rund 1,5 Mio. € mehr bekommen und hätte damit einen Etat von ca. 15,34 Mio. € zur Verfügung. Im Jahr 2018 soll die Finanzausstattung um weitere rund 560.000 € auf dann 15,9 Mio. € ansteigen. Die Pro-Kopf-Ausgaben würden in dieser Zeit von 3,42 € auf dann 3,91 € anwachsen.

Fazit

Selbst wenn es eine Zunahme konkreter Bedrohungspotentiale in Sachsen geben sollte, halte ich die Annahme, dass mehr Geld für das LfV mehr Sicherheit bedeutet für falsch.

Das sächsische LfV hat in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass es nicht in der Lage ist, konkrete Bedrohungssituationen angemessen zu erfassen. Trotz der überdurchschnittlich guten Ausstattung war das LfV nicht in der Lage, zutreffende Lageanalysen über die extreme Rechte in Sachsen anzufertigen. Die massiven Fehler und Versäumnisse des LfV ermöglichten es dem NSU den Freistaat Sachsen 14 Jahre lang als Ruhe- und Rückzugsraum zu nutzen. Einige Einblicke zu diesem traurigen Kapitel des Versagens des sächsischen LfV bietet das Minderheitenvotum zum Abschlussbericht des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses von LINKEN, SPD und GRÜNEN.

Dass es keine wesentlichen Verbesserungen in der Arbeit des LfV gegeben hat, zeigt sich z. B. in der Verharmlosung der zahlreichen rassistischen asylfeindlichen Bewegungen in Sachsen, die sich in den letzten Jahren ausgebildet haben.

Trotz des Versagens im Umgang mit dem NSU und trotz der nach wie vor ausbleibenden Qualität der Arbeit des sächsischen LfV steht die Behörde besser da als vor dem Auffliegen des NSU. Erhebliches Kürzungspotential im Etat des sächsischen LfV ist also vorhanden. Würden der Etat und die Personalausstattung des sächsischen LfV auf den Durchschnitt der Flächenländer angepasst, müsste der Personalbestand auf 141 Mitarbeiter und der Etat um rund 3,5 Mio. € auf knapp 10,4 Mio. € sinken.

Für die freiwerdenden Gelder gäbe es sicherlich zahlreiche gute Verwendungsmöglichkeiten im Freistaat Sachsen. Von der weiteren Unterstützung zivilgesellschaftlicher Strukturen, die sich für eine Stärkung der demokratischen Kultur in Sachsen einsetzen, bis hin zu einer besseren finanziellen Ausstattung der politischen Bildung in Sachsen.

Nun glaube ich zwar nicht, dass diese Position sich im Laufe der Haushaltsverhandlungen durchsetzen wird, dennoch halte ich es immer wieder für notwendig, hier Transparenz zu schaffen.

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